Pfingstmontag
Text: Joh 4,19–26
Thema: Woher der Glaube kommt
Ev. Emmausgemeinde Eppstein
Pfarrer Moritz Mittag

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Bei uns in der Gemeinde… Die eine oder andere Erzählung fängt so an. Viele von uns haben selbst schon so zu erzählen begonnen oder aber zugehört, wenn einer so anfing. Bei uns in der Gemeinde… Von jeder Gemeinde kann man so erzählen. Jede Gemeinde hat ihre Gepflogenheiten oder ihren Stallgeruch. Immer wenn ich woanders hinkomme, fällt mir das besonders auf. Erst recht mache ich die Erfahrung, wenn ich in einer anderen Konfession zu Gast bin. Immer wieder ertappe ich mich, wie ich vergleiche. Die Übung bringt es mit sich, dabei gelassen zu sein und offen. Ja, ich kann die Schönheit in der Liturgie der Römischen Kirche erkennen und Ernst und Tiefe des orthodoxen Gottesdienstes. Und ich sehe, wie in manchen freien Gemeinden die Fesseln der Form gebrochen sind. Wie andere beten, habe ich beobachtet und wie sie von Gott sprechen. Und ich weiß, die Predigt, die mich anspricht, empfindet ein anderer als langweilig oder anstrengend.

Ob das allen so geht? Vermutlich nur denen, die einen Ver-gleich wagen können, weil ihnen eine Form, eine Konfession oder Gemeinde (einigermaßen) vertraut ist.

Für die beiden, die sich am Brunnen von Sychar begegnen, ist das gar keine Frage. Sie sind verwurzelt in den religiösen Traditionen, Lehren und in der Praxis ihrer Leute. Sychar liegt am Fuße des Garizim, im Lande Samarien. Schon die Adresse lässt fromme Juden der biblischen Zeit die Nase rümpfen. Die Samaritaner gelten als nicht konform. Umgekehrt wurde das seitens der Samaritaner auch gerne von den Juden behauptet.

Eigentlich waren sie ja alle Angehörige der 12 Stämme. Die hatten sich in ein Süd- und ein Nordreich aufgeteilt. Die einen hatten ihre Hauptstadt in Jerusalem, die andern zunächst in Sichem, dann in Samaria. In der wechselvollen Geschichte der Region machten die Bevölkerungen beider Reiche einiges mit. In der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts verschleppten die Assyrer die Oberschicht des Nordreiches. Die Zurückgelassenen bekamen Nachbarn aus dem Osten – beispielsweise aus Babel. Aber die hielten an der alten Form des Kults fest, nannten sich schamerim – Bewahrer, während im Süden Raum war für eine Entwicklung, die auch Veränderung bedeutete. Die beiden Reiche und ihre religiöse Welt entwickelten sich auseinander. Als dann im 6. Jahrhundert nach der Katastrophe des Babylonischen Exils in Jerusalem der Tempel wieder aufgebaut wurde, boten die aus Samarien ihre Hilfe an. Nichts da! hieß es. Ihr seid nicht wie wir! Ihr habt euch mit den Anhängern Baals arrangiert. Wir brauchen euch nicht! Fortan war der Berg Garizim der heilige Ort der Samaritaner. Die Kontakte zwischen denen aus dem Süden und denen aus dem Nor-den wurden spärlicher oder rissen ab. Untereinander zu hei-raten war verpönt. Wie zerstrittene Verwandte hatte man sich nichts mehr zu sagen.

Und nun diese Szene am Brunnen von Sychar. Es ist der Tradition nach Jakobs Brunnen [1. Mos 33,18f.]. Dort lässt sich Jesus nieder, als er von Judäa nach Galiläa unterwegs ist. Er ist müde. Wahrscheinlich ist es heiß und man sucht den Schatten an der Wasserstelle nicht zuletzt, um dort auch den Durst zu stillen. Da kommt eine Frau aus Samarien. Sie will dort Wasser holen. Ohne Umschweife spricht Jesus sie an: „Gib mir zu trinken!“ [Joh 4,7] Mag sein, dass uns das ziemlich bedeutungslos vorkommt. Aber hier, in der Begegnung dieser beiden, geschieht etwas, was die Grenzen sprengt, was die Abgrenzungen über den Haufen wirft, was Herz und Sinn weitet für das Wahre und Wesentliche. Es dauert nicht lange, ich kann Ihnen hier nicht die ganze Geschichte erzählen, die beiden haben sich gegenseitig befragt und erkannt – Jesus sagt der Samariterin auf den Kopf zu: „Fünf Männer hast du gehabt, und der, den du jetzt hast, ist nicht dein Mann“ [Joh 4,18] – da stellt die Samariterin fest und hier beginnt unser Predigttext:

Joh 4,19 [Die Frau spricht zu ihm:] Herr, ich sehe, dass du ein Prophet bist. 20 Unsere Väter haben auf diesem Berge angebetet, und ihr sagt, in Jerusalem sei die Stätte, wo man anbeten soll. 21 Jesus spricht zu ihr: Glaube mir, Frau, es kommt die Zeit, dass ihr weder auf diesem Berge noch in Jerusalem den Vater anbeten werdet. 22 Ihr wisst nicht, was ihr anbetet; wir wissen aber, was wir anbeten; denn das Heil kommt von den Juden. 23 Aber es kommt die Zeit und ist schon jetzt, in der die wahren Anbeter den Vater anbeten werden im Geist und in der Wahrheit; denn auch der Vater will solche Anbeter haben. 24 Gott ist Geist, und die ihn anbeten, die müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten. 25 Spricht die Frau zu ihm: Ich weiß, dass der Messias kommt, der da Christus heißt. Wenn dieser kommt, wird er uns alles verkündigen. 26 Jesus spricht zu ihr: Ich bin’s, der mit dir redet.

Das Gespräch der beiden wechselt auf eine andere Ebene. Die Samariterin reflektiert die religiöse Praxis ihres Volks setzt sie in Beziehung zu der der Nachbarn. Wir an ihrer Stelle würden vielleicht sagen: Wir Protestanten suchen Gott im Hören auf sein Wort; ihr Katholiken sucht ihn in der Fülle seiner Gaben.

Zurück zum Brunnen am Fuße des Garizim. Hier gilt: Beide, Samaritaner und Juden, beten zu Gott, die einen auf dem Berg, die andern im Jerusalemer Tempel. In der Gemeinsamkeit lebt gleichwohl der Unterschied. Bleibt’s dabei? Jesus kündigt eine tiefgreifende Veränderung an: „Aber es kommt die Zeit und ist schon jetzt, in der die wahren Anbeter den Vater anbeten werden im Geist und in der Wahrheit“ [Joh 4,23]. Geist und Wahrheit gehört die Zukunft des Gebets. Nicht der Ort wird ausschlaggebend sein, auch nicht die Konfession oder die Zugehörigkeit zu einer Gruppe oder Gemeinde, sondern Geist und Wahrheit des Gebets.

Dabei bügelt Jesus die Unterschiede nicht einfach weg: „Ist doch eh alles eins…“ Auch wenn’s schmerzlich ist für die Frau aus Samarien, sagt er: „Ihr wisst nicht, was ihr anbetet; wir wissen aber, was wir anbeten; denn das Heil kommt von den Juden“ [Joh 4,22]. Das will man in Samarien nicht hören. Das festzustellen, war auch für Christen über lange Zeit ein Unding. Lieber wollte man sich lösen von der jüdischen Herkunft, wollte sich ganz und gar aus sich selbst heraus verstehen und gerne überlegen fühlen. „Wir sind die Zukunft“ im Bund mit dem Neuen Testament und haben das Alte und sein Testament hinter uns gelassen.“ Über solche Passagen wie diese hier im Johannesevangelium musste man dafür hinweglesen. Was einem dabei nicht alles entgehen musste! Welche Missverständnisse sich einstellen, welche Entfremdung nicht zuletzt gegenüber der eigenen Herkunft man dafür in Kauf nehmen musste! Mir kommt vor, als habe man auf diese Weise auch die Zeit verpasst, von der Jesus spricht, „in der die wahren Anbeter den Vater anbeten werden im Geist und in der Wahrheit“ [Joh 4,23].

Gott lässt sich nicht einsperren in die Gedankenwelt einer Religionsgemeinschaft, einer Konfession oder einer Ge-meinde. Gott ist viel größer, weiter und wahrer als es eine dieser Größen sein könnte. Aber, und das will auch bedacht sein, er ist auch nicht irgendeiner. Er ist nicht beliebig und schon gar nicht Produkt unserer Projektion.

Er offenbart sich als Geist und Wahrheit über alle menschlichen Grenzen und Grenzziehungen hinweg. Das hat eine eigene Dynamik, die Dynamik des Heiligen Geistes, seine Kraft und seine Bewegung. Aus ihr kommt der Glaube, nicht aus meinem Wollen und Vollbringen. Selbst wenn ich mich frage: „Warum will ich glauben“, weiß ich, dass es nicht mein Wille ist, der mich glauben lässt. Eher schon komme ich so, also mit Hilfe dieser Frage, meiner eigenen Bedürftigkeit auf die Spur. Ja, ich will glauben, weil ich vermisse, weil ich suche, weil ich brauche, was mir fehlt.

Aber glauben kann ich nicht deshalb. Luther hat einmal festgestellt, Sie können’s im Gesangbuch nachlesen unter der Nummer 136: „Glaube ist eine lebendige, verwegene Zuversicht auf Gottes Gnade, so gewiss, dass er tausendmal dafür sterben würde. Und solche Zuversicht und Erkenntnis göttlicher Gnade macht fröhlich, trotzig und lustig gegen Gott und alle Kreaturen; das wirkt der Heilige Geist in Glauben.“

„O komm, du Geist der Wahrheit, und kehre bei uns ein,
verbreite Licht und Klarheit, verbanne Trug und Schein.
Gieß aus dein heilig Feuer, rühr Herz und Lippen an,
dass jeglicher getreuer den Herrn bekennen kann.“ [EG 136,1]

Am Brunnen endet das Gespräch nun mit der ahnungsvollen Überlegung der Samariterin, dass der Messias kommen wird. Auch die Samariter hoffen und warten darauf. „Ich bin’s der mit dir redet“ [Joh 4,25f.], antwortet Jesus. Wir verstehen: Jesus offenbart sich nicht nur den Seinen, er versteht sich auch als der Heiden Heiland. Er ist das Heil der Welt, Gottes lebendiges Wort. Das wird durch den Geist und in der Wahrheit auch in uns immer wieder lebendig und spricht mit uns, wo immer wir das Wasser des Lebens suchen und schöpfen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.