Misericordias Domini
Text: 1. Mose 16,1–16
Thema: Kinder, Kinder
Ev. Emmausgemeinde Eppstein
Pfarrer Moritz Mittag
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.
Kinder, Kinder! Das ist eine Geschichte! Vorlesen, wäre eine Möglichkeit. Überliefert wurde sie allerdings erzählt, möglicherweise mal Situation entsprechend etwas ausgeschmückt oder im anderen Fall zugespitzt. Wer weiß? Wir sind nicht dabei gewesen, bis endlich das Erzählte verschriftlicht wurde. Was soll ich machen? Ich lade Sie ein, Platz zu nehmen auf den gepolsterten Teppichen im Zelt. Keine Angst, nachher wird Ihnen wieder jemand beim Aufstehen behilflich sein. Also nehmen Sie Platz. Draußen wird es dunkel – etwas Phantasie muss ich Ihnen abverlangen! Aber wäre es anders, morgen, beispielsweise, wir säßen nicht zusammen, wir wären draußen beim Weidevieh. Jetzt endlich, das Tagwerk ist vollbracht, können wir zusammensitzen. Tee wird gereicht, etwas Rauch liegt in der Luft. Eine Feuerstelle verbreitet flackerndes Licht und kämpft gegen die heranschleichende Kälte der Nacht. Immerhin – wir sind in den Bergen Kanaans – gut über 800 m über dem Meeresspiegel..
Einer hebt an zu erzählen. „Erinnert ihr euch, ich habe auch letzthin von Abram und Sara erzählt. Die beiden waren aus dem Land der zwei Ströme aufgebrochen, um hierher zu gelangen. Der Weg war weit und voller Gefahren. Immer wenn die beiden ins Wanken kamen und zweifelten, ob es das Richtige war, was sie taten, erinnerten sie sich daran, dass Gott sie beauftragt hatte, im Lande Ur die Zelte abzubrechen. Und er hatte zu Abram gesagt: „Ich will dich zum großen Volk machen“ [1. Mos 12,2]. Damals war Abram schon ein alter Mann und 75 Jahre alt. Seitdem sind gut zehn Jahre ins Land gegangen. Immer mal wieder war das Versprechen erneuert worden, noch öfter waren Abram und Sara enttäuscht, dass der Nachkomme ausblieb. Für beide war das ein Unglück. Kein Kind heißt keine Zukunft. Das Leben versickert im Sand, wie sonst das spärlich gegebene Wasser. Nichts wird und nichts bleibt. Saras Gesicht zeigt einen bitteren Zug, der sie hart erscheinen lässt. Dabei ist sie enttäuscht von sich und von Gott, der sein Versprechen nicht gehalten. Was ist schlimmer?
Wenn sie nachts nicht schlafen kann, wird sie daran denken und hadern. ‚Soll ich jetzt noch länger warten?“ fragt sie sich. Und dann reicht’s ihr und sie sagt sich: „Von wegen!“ Am nächsten Morgen überrascht sie ihren Mann mit einer Lösung: „Siehe, der Herr hat mich verschlossen, dass ich nicht gebären kann. Geh doch zu meiner Magd, ob ich vielleicht durch sie zu einem Sohn komme.“ [1. Mos 16,2]
Ist Abram verwundert? Oder gleich einverstanden? Wer weiß? Er kennt seine Sara. Er weiß, wie enttäuscht, ungeduldig und zornig sie ist. Besser er tut, was sie sagt. Er weiß, wen Sara meint. Die junge Frau aus Ägypten, kein Au-pair, vielmehr ihre Sklavin. Sie hat zu tun, was man ihr aufträgt. „Da nahm Sarai, Abrams Frau, ihre ägyptische Magd Hagar und gab sie Abram, ihrem Mann, zur Frau, nachdem Abram zehn Jahre im Lande Kanaan gewohnt hatte.“ [ [1. Mos 16.3].
Der Auftrag Hagars ist klar: Kind kriegen, Kind abgeben, Mund halten. Wenn Gott schon nicht tätig wird, mag Sara sich denken, nehme ich die Dinge eben selbst in die Hand. Auf Hagar, ihre Leibeigene, mag sie dabei keine Rücksicht nehmen.“
Die im Zelt hören gebannt zu. Wohl hatten sie schon mal von einer Leihmutterschaft gehört, wirklich alltäglich war die aber nicht. Jetzt fragen sie sich: „Kann man das machen?“ Vielleicht beschäftigt sie dabei das Schicksal der jungen Frau weniger als die Frage: „Darf man Gott so ins Handwerk pfuschen?“ Laut wagt das keiner zu sagen. „Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein.“ [Joh 8,7] Und trotzdem, der inszenierte Ehebruch fühlt sich nicht richtig an.
Aber jetzt hören sie wieder zu. „Hagar wird schwanger. Das fühlt sich gut an. Liegt darin nicht auch Anerkennung, etwas, was ihr sonst abgeht? Langsam wächst das Kind in ihr. Und man sieht’s. Hagar streicht sich immer mal wieder zufrieden über den gewölbten Bauch. Was denkt sie, wenn sie Sara sieht? Vielleicht ‚ich kann etwas, was du nicht kannst‘. So oder so ähnlich liest es Sara auf dem Gesicht der jungen Frau. Es scheint so, als „achtete sie ihre Herrin gering.“ [1. Mos 16,4]“
Erstaunen auf den Gesichtern der Zuhörer. Die junge Frau muss doch um ihren Status wissen. Sie ist Leibeigene. Ihre Herrschaft hat alle Macht über sie. Meint sie, sie könne Abram ganz für sich gewinnen? Meint sie ernsthaft, sie könne mit Sara rivalisieren um den Mann, um Nachkommen, Erbe und Bedeutung und um ein erfülltes Liebesleben? Oder ist es gerade ihre untergebene Stellung, die sie zu Missachtung und Umsturz reizt. Mal sehen, wer das Nachsehen hat!
Jetzt wühlt es in Sara. Eifersüchtig verfolgt sie die junge Frau, die ihr zur Rivalin geworden ist. „Da sprach Sarai zu Abram: Das Unrecht, das mir geschieht, komme über dich! Ich habe meine Magd dir in die Arme gegeben; nun sie aber sieht, dass sie schwanger geworden ist, bin ich gering geachtet in ihren Augen.“ [1. Mos 16,5]
‚Du sitzt mit mir in einem Boot, Abram, vergiss das nicht! Das Unrecht, das mir geschieht, komme über dich!“‘ Eine Leisetreterin ist sie nicht, Abrams Frau. Eher eine selbstbewusste Frau, die es versteht, ihrem Mann die Hölle heiß zu machen. „Der Herr sei Richter zwischen mir und dir.“ [1. Mos 16,5] Und Abram? Er hat getan, sie ihn geheißen hatte und jetzt hält er sich raus: „Siehe, deine Magd ist unter deiner Gewalt; tu mit ihr, wie dir’s gefällt.“. [1. Mos 16,6] Wie kann er das so sagen? Wie passt das zusammen? Er opfert die Frau, die ihm den ersehnten Nachkommen gebären soll, der Eifersucht oder gar Rachsucht seiner Sara. Ob das den Familienfrieden wieder herzustellen vermag?
Sara lebt ihre Rache an der Rivalin aus. Im Zelt hören sie: „Da demütigte Sarai sie, sodass sie vor ihr floh.“ [1. Mos 16,6] Hagar hält es nicht mehr aus. Sie sucht der Hand der Herrin zu entkommen. Sie „emanzipiert“ sich. Den Preis dafür muss sie zahlen. Allein in der Wüste. Ich muss Euch nicht sagen, was das heißt. Dass sie’s nicht überlebt, ist wahrscheinlich. „Hagar hat Glück, sie gelangt zu einer Quelle. Und nicht nur das. „Der Engel des Herrn fand sie bei einer Wasserquelle in der Wüste, nämlich bei der Quelle am Wege nach Schur.“ [1. Mos 16,7] Wie das Wasser braucht der Mensch das Gegenüber, die Gemeinschaft. Wie grausam ist es, sie entbehren zu müssen. Warum ist der Preis der Freiheit so hoch? Auch so mancher von uns kennt das. So manche leidet darunter – sogar mitten in der Gemeinschaft: frei, aber unendlich einsam. Welch Wohltat, wenn dann einer das Wort an einen richtet! „Der [Engel] sprach zu ihr: Hagar, Sarais Magd, wo kommst du her und wo willst du hin?“ [1. Mos 16,8] Zum ersten Teil der Frage, kann sie etwas sagen. Aber die Zukunft liegt noch verschlossen vor ihr.
„Sie sprach: Ich bin von Sarai, meiner Herrin, geflohen. Und der Engel des Herrn sprach zu ihr: Kehre wieder um zu deiner Herrin und demütige dich unter ihre Hand.“ [1- Mos 16,8f.] Wollte sie das hören? Wäre sie selbst auf den Gedanken gekommen? Was soll sie dazu bewegen? „Und der Engel des Herrn sprach zu ihr: Ich will deine Nachkommen so mehren, dass sie der großen Menge wegen nicht gezählt werden können.“ [1 Mos 16,10]
Die eben noch verschlossene, in eine Sackgasse gelangte Zukunft, öffnet sich mit jedem Wort des Gottesboten. „Weiter sprach der Engel des Herrn zu ihr: Siehe, du bist schwanger geworden und wirst einen Sohn gebären, dessen Namen sollst du Ismael nennen; denn der Herr hat dein Elend erhört.“ [1. Mos 16,11]
Das Gesagte und kaum Fassbare erfährt eine persönliche Bestätigung. Das Kind, das sie zur Welt bringen wird, wird ein Sohn sein, einer, der sie an die Barmherzigkeit Gottes erinnern wird. Darum soll sie ihn Ismael nennen, denn Gott hat ihr Flehen erhört.
So heißt Hagars Sohn also „Gott hört“. Was für ein Name! Immer wenn sie ihn rufen wird, werden es alle hören: „Gott hört!“ „Er wird ein Mann wie ein Wildesel sein;“ [1. Mos 16,12] Ihr wisst alle, wie eigenwillig, frei und wild, die sind. Nie zur Unterwerfung bereit aber immer zum Kampf. „Seine Hand wider jedermann und jedermanns Hand wider ihn, und er wird sich all seinen Brüdern vor die Nase setzen. [ebd.] So wenig wie seine Mutter, wird er ein Leisetreter sein.“
Manch einer mag an die stolzen Beduinen denken, mit denen man gelegentlich zu tun hat und besser gar nicht erst versucht, sie einzugrenzen. So einer ist der „Gott hört“.
Seine Mutter weiß nun, mit wem sie es da am Brunnen zu tun hat. „Und sie nannte den Namen des Herrn, der mit ihr redete: Du bist ein Gott, der mich sieht.“ [1. Mos 16,13]“
Ausgerechnet die Geschichte der jungen Frau aus Ägypten erzählt von dem Gott Abrams und Saras. Wo auf der einen Seite der Zweifel laut und das gläubige Bekenntnis leise wird, schwindet auf der anderen Seite die Verzweiflung, denn „Gott hört!“ und wächst das Bekenntnis: „Gott sieht mich!“ Und das ist nicht der Oberaufseher, der da sieht, das ist der Gott, der dem Leben zum Durchbruch verhilft – so oder so. „Und Hagar gebar Abram einen Sohn, und Abram nannte den Sohn, den ihm Hagar gebar, Ismael.“ [1. Mos 16,15]
Dass Gott hört, wenn wir auch meinen, der habe sich unseren Bitte verschlossen, und dass er uns sieht, wenn wir denken, er habe sich abgewendet, das ist die frohe Botschaft an dem nachösterlichen Sonntag „Misericordias Domini“, der uns an die Barmherzigkeit Gottes erinnert.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.