Palmsonntag – 24.03.2024

Text: Phil 2,5–11

Thema: Gehorsam

Ev. Emmausgemeinde Eppstein

Pfarrer Moritz Mittag

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Ein Hymnus als Predigttext. Paulus zitiert ihn im Brief an die Philipper. Wir können ihn gemeinsam anstimmen, nicht singend, aber doch lesend – immerhin. Dazu schlagen Sie bitte im Gesangbuch die Nummer EG 760 auf. Wir halten es so, wie wir es vom Psalmbeten her kennen. Die Seite rechts beginnt, die linke spricht die eingerückten Verse.

Phil 2,5 Seid so unter euch gesinnt, wie es auch der Gemeinschaft in Christus Jesus entspricht:
6 Er, der in göttlicher Gestalt war, hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein,
7 sondern entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an,
ward den Menschen gleich und der Erscheinung nach als Mensch erkannt.
8 Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz.
9 Darum hat ihn auch Gott erhöht und hat ihm den Namen gegeben, der über alle Namen ist,
10 dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind,
11 und alle Zungen bekennen sollen, dass Jesus Christus der Herr ist, zur Ehre Gottes, des Vaters.

Starke Aussagen und starke Worte. „Raub“, „Knechtsgestalt“, „sich entäußern“, „sich erniedrigen“, um nur einige zu nennen. Wir haben den Hymnus recht flüssig gelesen. Und das, obwohl seine Formulierungen solch ungeheuerliches Gewicht haben, dass sie einem bei näherer Betrachtung den Atem stocken lassen könnten.

Worum geht es? Ganz zu Anfang ist die Gemeinde angesprochen. Wir also. Ein Apell ergeht an sie. „Seid so unter euch gesinnt, wie es auch der Gemeinschaft in Christus Jesus entspricht.“ [Phil 2,5]

Dieses „In Christus“ kennen wir schon von Paulus. Ich verstehe es als den kostbaren Kern einer christlichen Existenz. „In Christus“ sein, in seinem Geist, in seinem Sinn leben. Nichts, was mir nichts, dir nichts, kraft eigener Anstrengung gelänge, sondern, weil Gott es uns geschenkt hat – „in Christus“. Momente der Kongruenz, Phasen, wenn’s ganz gut geht, nichts, was mir zur Verfügung stünde. Vielleicht aber uns? Weit gedacht als ekklesia, Gemeinschaft der Herausgerufenen. Herausgerufen aus den Mechanismen und Botmäßigkeiten der Welt – einem Leben ohne Gott. „Seid so unter euch gesinnt, wie es auch der Gemeinschaft in Christus Jesus entspricht.“ [ebd.] Was entspricht dieser Gemeinschaft in Christus? Dazu braucht es eine zutreffende Kenntnis dieses Christus, in dem wir Jesus von Nazareth erkennen, dessen Weg in wenig Zügen nachgezeichnet wird. Wir gehen dem nach.

„Er, der in göttlicher Gestalt war, hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein“ [Phil 2,6] Unversehens sind wir in der Theologie angekommen. Behauptet doch dieser Vers, dass Christus Jesus, also Jesus, dem der Titel „Christus“ zuerkannt wurde, schon bevor er zur Welt kam, „in göttlicher Gestalt“ war. „Aus dem Vater geboren vor aller Zeit“, wie das Glaubensbekenntnis von Nizäa-Konstantinopel später feststellen wird. Aber dieser Christus ist kein Besitzstandswahrer. Er hält an seinem Status nicht fest wie einer, der sich etwas gewaltsam angeeignet hat und nun nicht mehr hergeben möchte. Nein, seine Gottheit ist nichts, was er um jeden Preis zu retten versucht. „Sondern [er] entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an“ [Phil 2,7]. „Er äußert sich all seiner G’walt, / Wir niedrig und gering / und nimmt an eines Knechts Gestalt, / der Schöpfer aller Ding…“ [EG 27,2 – Lobt Gott, ihr Christen alle gleich – T Nikolaus Hermann, 1560] „ward den Menschen gleich und der Erscheinung nach als Mensch erkannt.“ [ebd.] „Da liegt es, das Kindlein, auf Heu und auf Stroh“ [EG 43,3]. Wir erinnern uns, dass der Hymnus auch schon an Weihnachten zu hören war. Kein Wunder, markiert das Fest doch den Beginn jener wundersamen Laufbahn des Höchsten bis zum Kreuz an Karfreitag. „Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz.“ [Phil 2,8] Einer hat den Hymnus darum als „ein Lied auf einen Absteiger“ [Walter Meyer-Roscher] bezeichnet. Ein „Looser“, wie man heute vielleicht sagen würde, jedenfalls nicht einer, der erkennbar auf der Erfolgsspur wäre.

Dass Menschen scheitern, dass ihre Laufbahn, ihre Karriere nach einem glänzenden Höhenflug steil bergab gehen kann, das kennen wir. Ja, wir sehen das Scheitern des Überfliegers mitunter mit einer gewissen Genugtuung. Die Bäume wachsen eben doch nicht in den Himmel. So verfolgte die Republik einst die Laufbahn des Thomas Middelhof, auch als der Komet in der Atmosphäre verglühte. Heute mag es Rene Benko sein, dessen Immobilien-Imperium Signa sich bezeichnenderweise im Nichts einer Pleite aufgelöst hat. Die beiden Beispiele reichen schon aus, um das Hinken des Vergleichs zu erkennen. Bei dem besungenen Christus liegen die Dinge anders. Er greift nicht nach den Sternen. Er opfert sich nicht der Eitelkeit. So sucht er sich seine Gemeinschaft nicht bei den Besten, Teuersten, Erfolgreichsten seiner Zeit, nein, einfache Leute sind es, die er als Jünger beruft. Mit Vorliebe wendet er sich denen zu, die ganz unten stehen. Leute, mit denen niemand etwas zu tun haben will. Heißt es doch im Hymnus „Er erniedrigte sich selbst“ [ebd.]. Er tut’s, obwohl er auch anders könnte. Und warum tut er’s dann? Die Antwort: Er „ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz.“ [ebd.]

Er unterstellt sein Wollen dem Willen eines anderen. Darum ist er gehorsam. Wenn Sie so wollen, ist das der springende Punkt. Der Gehorsam. Durchaus kein Selbstzweck. Wir wissen, wie unheilvoll sich der sogenannte „Kadavergehorsam“ auswirken kann. Wenn darin das eigene Denken und das persönliche Verantwortungsgefühl ausgeschaltet werden. Hier, bei Christus, ist es der Gehorsam Gott, dem Vater, gegenüber. „Nicht wie ich will, sondern wie du willst“ [Mt 26,39]. Wir erinnern die Situation im Garten Gethsemane, wo Jesus diese Worte spricht. Der Sohn, der dem Vater gehorcht, der Mensch gewordene Sohn, der seinen Geschwistern, uns, ein Beispiel gibt. Gott gehorchen und „in Christus sein“ gehören offenbar zusammen, wobei auf dem „In Christus sein“ eine Verheißung liegt. Jesus, der Hohn und Spott, Erniedrigung, Leid und Schmerz, ja, den einsamen Tod durchlebt, geht darin nicht verloren. Im Gegenteil. Jetzt handelt Gott und belohnt den Gehorsam seines Sohnes. „Darum hat ihn auch Gott erhöht und hat ihm den Namen gegeben, der über alle Namen ist,“ [Phil 2,9]

Nun sitzt der zu Grabe Getragene aufgefahren in den Himmel zur Rechten Gottes. Jetzt ist offenbar, dass Jesus der Christus ist. Der Herrscher aller Herrscher, dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind,“ [Phil 2,10] Alle, „im Himmel und auf Erden und unter der Erde“ [ebd] müssen sich ihm unterwerfen und ihm huldigen. Aus dem Absteiger ist der Aufsteiger geworden, aus dem Gekreuzigten der Auferstandene, aus dem „Looser“, der „Winner“.

Wie werden die Philipper das aufgefasst haben? Sie werden nur zu gut wissen, wie man etwas wird im Römischen Reich. Nicht auffallen, mitschwimmen, zur rechten Zeit einen Knicks vor den Autoritäten, den eigenen Vorteil im Blick behaltend. Sie werden auch wissen, welchen Preis der zahlt, der den Gehorsam Gott gegenüber höher schätzt als den gegenüber anderen Autoritäten. Und wir wissen das auch. Nicht erst seit Dietrich Bonhoeffer, Martin Luther King oder Alexej Nawalny. Da wird der krönende Abschluss des Hymnus für uns zur leichteren Übung. Dass „alle Zungen bekennen sollen, dass Jesus Christus der Herr ist, zur Ehre Gottes, des Vaters.“ [Phil 2,11] Was haben unsere Zungen nicht schon alles bekannt! Vieles geht uns leichter über die Lippen, als wir es im Lebensvollzug einholen.

Wir bitten Gott, dass er uns die Stärke geben möge, aus unserem Lippenbekenntnis ein Zeugnis unseres Glaubens zu machen. Dass Christus unser Herr ist. Nur er allein. Dass seine Liebe allen Menschen gegenüber uns erfüllen möge. Dass wir auch und gerade in Bedrängnis uns auf ihn verlassen, ja, dass wir uns unserer Knechtsgestalt entäußern können, um „in Christus“ zu sein, „der Herr ist, zur Ehre Gottes, des Vaters.“ [Phil 2,11].

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.