„Gelitten unter Pontius Pilatus“

Im Rahmen der Leidensgeschichte Jesus bis zu seinem Tod wollen wir uns heute seiner Begegnung mit Pontius Pilatus widmen. Es muss eine sehr wichtige Begegnung im Leben dieser beiden Männer gewesen sein, denn im Glaubensbekenntnis wird beiden Männern ja auch eine Zeile gewidmet. „Gelitten unter Pontius Pilatus“. Und in allen 4 Evangelien finde ich entsprechende Beschreibungen dazu, tw. mit sehr unterschiedlichen Facetten.

Wer war Pontius Pilatus? Es gilt als gesichert, dass er von ca. 26 bis 36 n. Chr. Präfekt (Statthalter) des römischen Kaisers Tiberius in der Provinz Judäa war. Aber was war er für ein Mensch? War er der rücksichtslose Alleinherrscher zur damaligen Zeit in Judaä und konnte schalten und walten wie er wollte – und ohne weitere Rücksprache oder Anhörungen Urteile fällen und verkünden?

Wir kennen die Redewendung „von Pontius zu Pilatus“ zu gehen oder geschickt werden – sie wird in der Tat mit der Verurteilung von Jesus in Verbindung gebracht, weil die Zuständigkeiten oder Verantwortlichkeiten für derartige Prozesse mit solchen Tragweiten offensichtlich nicht klar geregelt waren. Immerhin befürchtete Pontius Pilatus wohl, dass eine Verurteilung von Jesus auch einen Aufstand der Juden zur Folge haben konnte. Es stellte sich wohl die Kompetenzfrage zwischen Pontius und Herodes, einem weiteren mächtigen Mann in der Region zu jener Zeit. Lukas beschreibt in seinem Evangelium, wie Pontius Pilatus nach der Überstellung von Jesus durch den Hohen Rat an ihn, Jesus zunächst aufforderte, zu Herodes zu gehen, dieser ihn aber wieder zu Pontius Pilatus zurückschickte. Also wenn man von Pontius zu Pilatus geschickt wird, landet man schlussendlich wieder beim Anfang / bei derselben Person, selbst wenn sie vermeintlich einen anderen Namen trägt. Wann haben wir eigentlich das letzte Mal Erfahrungen mit dieser Situation gemacht? Dass wir uns selbst „wundgelaufen“ haben – oder aber -um einmal in die andere Rolle zu schlüpfen – nicht direkt selbst Verantwortung übernommen haben, weil es uns vielleicht unliebsam, unangenehm war oder ungelegen kam, obwohl wir es hätten machen können oder sogar müssen? Jesus erträgt dieses Hin- und Hergeschiebe widerspruchlos. Wahrscheinlich weiß er ja auch, dass das nichts am Ausgang ändert.

Lassen wir uns eine andere Situation in der Begegnung beider Männer beleuchten: Bleiben wir bei Lukas, hier im 23. Kapitel:

Jesus vor Pilatus
Und die ganze Versammlung stand auf, und sie führten ihn vor Pilatus und fingen an, ihn zu verklagen, und sprachen: Wir haben gefunden, dass dieser unser Volk aufhetzt und verbietet, dem Kaiser Steuern zu geben, und spricht, er sei Christus, ein König. Pilatus aber fragte ihn und sprach: Bist du der Juden König? Er antwortete ihm und sprach: Du sagst es. Pilatus sprach zu den Hohenpriestern und zum Volk: „Ich finde keine Schuld an diesem Menschen“. Sie aber beharrten darauf und sprachen: Er wiegelt das Volk auf damit, dass er lehrt im ganzen jüdischen Land, angefangen von Galiläa bis hierher.

Es ist schon eigenartig: Dieser mächtige Mann Pontius Pilatus ist augenscheinlich gar nicht so überzeugt von der „Schuld“ Jesus – aber kann er gegen den mächtigen Rat und gegen die Obrigkeiten entscheiden? Nein – wir wissen wie es ausgeht. Wieder bei Lukas:

Pilatus aber rief die Hohenpriester und die Oberen und das Volk zusammen und sprach zu ihnen: Ihr habt diesen Menschen zu mir gebracht als einen, der das Volk aufwiegelt; und siehe, ich habe ihn vor euch verhört und habe an diesem Menschen keine Schuld gefunden, deretwegen ihr ihn anklagt; Herodes auch nicht, denn er hat ihn uns zurückgesandt. Und siehe, er hat nichts getan, was den Tod verdient. Darum will ich ihn züchtigen lassen und losgeben. Da schrien sie alle miteinander: Hinweg mit diesem! Gib uns Barabbas los!:

Da beugt sich also jemand so Mächtiges dem Willen der anderen, obwohl er es wahrscheinlich auch anders machen könnte. Wo kennen WIR solche Situationen? Tun wir eigentlich immer genug? Werden wir unserer Verantwortung immer gerecht? Helfen wir immer dann, wenn wir darum gefragt werden? Ich möchte mit dem Verweis, dass der Gesetzgeber „Unterlassene Hilfeleistung“ unter Strafe stellt, aus Gesellschaftssicht eher zweifelnd antworten. Und hier wird mittlerweile auch explizit die „Behinderung von Hilfeleistungen“ erwähnt – ich denke an die vielen Schaulustigen oder Handyvideo- Aufnehmer, die eher Interesse an der Situation oder Sensation, aber auf jeden Fall weniger an der Hilfe haben.

Und es geht ja noch weiter: Matthäus beschreibt in seinem Evangelium im 27. Kapitel:

Als Pilatus sah, dass er so nichts erreichte und der Tumult nur immer größer wurde, ließ er eine Schüssel mit Wasser bringen. Für alle sichtbar wusch er sich die Hände und sagte: »Ich bin nicht schuld daran, wenn das Blut dieses Menschen vergossen wird. Die Verantwortung dafür tragt ihr!«

Ehrlicherweise erschrecke ich bei dieser Beschreibung, denn wie wahr ist diese Eigenart in der heutigen Zeit nach wie vor! Ich denke hier konkret z.B. an den Ukraine-Krieg. Aber ich denke auch an mich und uns selbst und frage mich: Wie viele dieser „Pontius Pilatus- Eigenschaften“ stecken eigentlich in mir und uns allen drin?

Ich möchte zu mehr Differenziertheit in Betrachtungen aufrufen. Selbst wenn eine „schlechte Sache“ wie die Verurteilung Jesus dadurch nicht „gut wird“ – nicht gut werden KANN – es ist aber deutlich komplexer als es sich für mich immer dargestellt hat. Und ich werde auch mit Sicherheit beim nächsten Glaubensbekenntnis diese Stelle mit einem ganz anderen Blickwinkel und Hintergrund sprechen.

Andreas Kernbach

Gebet
Wir wollen miteinander und füreinander beten und im Gebet gemeinsam „Kyrie eleison“ sprechen.

Barmherziger Gott, wo wir uns längst abgewandt haben, da bleibst du treu. Wir bitten dich: Bleibe mit deiner Treue bei denen, die übersehen werden, weil sie klein und unbedeutend sind, weil ihre Talente und Fähigkeiten nicht gebraucht werden, weil sie stumm sind. Richte sie auf.

Gemeinsam sprechen wir: Kyrie eleison

Barmherziger Gott, wenn wir uns längst nicht mehr erinnern, dann vergisst du nicht. Wir bitten dich: Bleib mit deinem Gedenken bei den Opfern von Katastrophen, bei den Opfern von Mord und Krieg bei den Opfern von Hass und Verachtung. Gedenke ihrer und heile sie.

Gemeinsam sprechen wir: Kyrie eleison

Barmherziger Gott, wenn wir zu schwach sind, dann bist du mit deiner Liebe stark. Bleib mit deiner Stärke bei deiner Kirche. Bleib bei allen Christen, denen wir aus Schwäche nicht helfen. Bleib bei den Gemeinden, an die wir nicht in Fürbitte gedenken, weil wir nur auf unsere Sorgen schauen, weil wir nichts von ihrer Not wissen, weil unsere Augen und Herzen verschlossen sind.

Gemeinsam sprechen wir: Kyrie eleison

Barmherziger Gott, wir bitten dich um Trost und Frieden für Irmgard Krempel, die in dieser Woche verstorben ist. Lass sie deine Liebe und Gnade erfahren und lass ihre Seele in deiner Ewigkeit geborgen sein. Und für Rainer Krempel, der durch den Verlust seiner Frau Irmgard in tiefer Trauer ist. Lass ihn deine Gegenwart spüren und gib ihm die Kraft, um diese schwere Zeit zu überstehen.

Gemeinsam sprechen wir: Kyrie eleison

In der Stille tragen wir vor Dich, was uns bewegt.

Stefan Rottmann