7. Sonntag nach Trinitatis
Text: Joh 6,1-5
Thema: Für alle genug
Ev. Emmausgemeinde Eppstein
Pfarrer Moritz Mittag

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Die Bucht ist weit. Das Meer leuchtet blau bis zu der zum Horizont immer feiner werdenden hellen Linie des Strands. Hier tummeln sich die Menschen in bunten Scharen. Baden, sonnen, spielen. Und draußen auf dem tiefen Blau liegen Yachten. Einige sind erstaunlich groß. Vier Stockwerke. Um sie herum Bootsverkehr. Kleine Motorboote, Segler, Surfer. Ein lebhaftes Treiben.

In der Stadt ist es ruhig geworden – und heiß. Wer nicht hier sein muss, ist am Wasser oder hat sich an ein schattiges Plätzchen zurückgezogen. Die Leute, die arbeiten, sind noch da und einige, die um ein Almosen bitten. Hier sind es wettergegerbte Gesichter mit matten Augen voller Sorgen. Manchmal, wenn die Blicke sich begegnen, kommt ein kleines Fünkchen Hoffnung in die Augen.

Wenn nun Jesus, wie wir es in der Lesung gehört haben, hier von der einen Seite der Bucht zur anderen ginge, wer würde das beachten? Würden es die überhaupt bemerken, die an ihrem kühlen Drink schlürfen? Oder die, die endlich zeigen können, wie sie seit dem Winter an ihrer Erscheinung gearbeitet haben? Würden die Sorglosen seinen Weg mit irgendeinem Interesse verfolgen? Kaum.

Da dürften eher die Zurückgebliebenen aufhorchen und aufsehen. Ob der was zu sagen hat? Ob der gar etwas zu bieten hat? Ob ich da auch mal drankomme und was abkriege? Schön wäre das ja. „Jeden Tag stehe ich auf, schufte bis in den Abend, und kann trotzdem kaum meine Miete und meinen Lebensunterhalt bestreiten.“ Und die Frau, die schweigend den Vorübergehenden die Hand hinhält? „Nie weiß ich, ob es am Ende reicht, und ich mir was zu essen und zu trinken kaufen kann.“

Wenn nun also Jesus durch dieses Urlaubsparadies mit Schattenseiten wanderte – bleiben wir bei dieser Vorstellung, ob ihm dann viel Volk nachzöge?

Johannes weiß, warum die Leute Jesus folgten. „Weil sie die Zeichen sahen, die er an den Kranken tat.“ [Joh 6,2] Das hat etwas Unmittelbares. Sehen, verstehen, folgen. So etwas bräuchten wir auch. Manche sagen, ja, wenn ich das mit eigenen Augen sehen würde, dann würde ich’s glauben. Oft denke ich, was halten wir nicht alles für wahr, was wir nicht mit eigenen Augen gesehen haben!

Dann geht Jesus auf einen Berg. Um ihn herum sind seine Jünger. Für den Betrachter reicht das eigentlich. Die sind unter sich. Nun gut. Das Volk, die Leute, die auf Jesus aufmerksam geworden sind, kommen den Berg herauf. Das würden sie kaum tun, wenn sie sich davon nichts versprächen. Vielleicht ist es nur die Sensation. „Der kann was, was andere nicht können. Den schauen wir uns an.“ Wichtig ist, sie haben sich bewegen lassen, aus welchen Gründen auch immer, und haben sich auf den Weg gemacht. Bald werden sie da sein.

Johannes erzählt, dass Jesus ihr Kommen bemerkt und an die Versorgung der Herannahenden denkt. Er fragt Philippus: „Wo kaufen wir Brot, damit diese zu essen haben?“ [Joh 6,5] Eine seltsame Frage. Wo gibt es denn auf einem Berg Brot zu kaufen und auch noch für so viele? Johannes ordnet die Frage ein: „Das sagte er aber, um ihn zu prüfen; denn er wusste wohl, was er tun wollte.“ [Joh 6,6]

Die Frage, woher das Brot nun kommen soll, enthält alle unsere Fragen nach Auskommen, Unterhalt und Versorgung. „Ja, wo soll’s denn herkommen?“ Da kann man sich anstrengen, wie man will, am Ende reicht’s nicht. Am Ende fehlt das Quäntchen, das das Leben ermöglichte und erhielte. Wir haben nichts zuzusetzen, selbst dann nicht, wenn wir zur Welt der Schönen und Reichen gehören. Irgendwann ist Schluss und dann gilt, was der Croupier in Monacos berühmen Casino wie zur Mahnung sagt: „Rien ne va plus“ – „Nichts geht mehr.“ Oder wie der alte Schäuble zu sagen pflegt: „game isch over.“

Philippus, der immerhin 200 Silbergroschen aufgetrieben hat, und das ist viel, reicht damals, um eine fünfköpfige Familie ein Jahr lang durchzubringen, Philippus kann leicht abschätzen, dass der Betrag nicht ausreicht, alle sattzukriegen.

Man denkt unversehens an die Welthungerhilfe, an die Nöte in den Trockengebieten, unter den Migranten und den Menschen in den Elendsvierteln der Mega-Städte. Da reicht’s auch nie. Und jetzt, da wichtige Getreidelieferungen aus der Ukraine nicht kommen, wird die Nahrung noch knapper.

Andreas, ein weiterer Jünger aus Jesu Begleitung bemerkt: „Es ist ein Knabe hier, der hat fünf Gerstenbrote und zwei Fische. Aber was ist das für so viele?“ [Joh 6,9] Er wie auch Philippus denkt und spricht wie wir. Sorge, Aufregung, Geschäftigkeit. Und Jesus? Der ist die Ruhe selbst. Johannes mag uns das anscheinend vor Augen führen: Wie Jesus ist und wer Jesus ist. Das zeigt sich nämlich jetzt.

„Lasst die Leute sich lagern“ [Joh 6,10], sagt er. Es sind so viele gekommen, dass sie kaum zu zählen. Und alle lädt er ein. Ganz gleich, ob sie der Sensation auf der Spur sind oder von Not getrieben. Nageln wir Johannes auf die Zahl nicht fest. 5.000. Das sind mehr Menschen, als die meisten Großstädte damals zählen.

Jetzt nähern wir uns dem Ziel der johanneischen Erzählung. Es geht ihm nicht um Zahlen und praktische Wunder der Betriebswirtschaft. Er lenkt den Blick auf den Souverän, der diese Situation, man möchte sagen mit Selbstverständlichkeit, meistert.

„Jesus aber nahm die Brote, dankte und gab sie denen, die sich gelagert hatten; desgleichen auch von den Fischen, so viel sie wollten.“ [Joh 6,11]

Und nochmal, hier haben wir es nicht mit glänzendem Marketing zu tun, das uns einen Wunderprotz weißmachen will, hier zeigt sich der Herr des Lebens. Das ist es, was Johannes zeigt. Und das Leben geht ihm nicht aus. Genauso wenig wie Brote und Fische. Er hat immer noch mehr davon. Mehr als sie brauchen können.

Auf ganz andere Weise können wir solche Erfahrungen auch machen. In kleiner Münze zwar, aber immerhin. Groß war die Sorge in der Vorbereitung unseres Festes zum 25-jährigen Bestehen unseres Gemeindezentrums, dass das Essen reicht. Dass genug da sein werden, die den Auf- und Abbau in die Hand nehmen. Dass den Fleißigen in der Küche Hilfe widerfahren möge. Am Ende gab’s von allem mehr als genug.

Wie der Chor in der griechischen Tragödie fasst das Volk die Erkenntnis des Tages zusammen: „Das ist wahrlich der Prophet, der in die Welt kommen soll.“ [Joh 6,14]

Und noch einmal prallen unsere Welt mit ihrem Verständnis und die ganz andere Vorstellung Jesu aufeinander. So jedenfalls deutet Johannes das an. Jesus bemerkt, welchen Eindruck er bei den Menschen hinterlassen hat. Er ahnt, „dass sie kommen würden und ihn ergreifen, um ihn zum König zu machen“ [Joh 6,15].

„Mein Reich ist nicht von dieser Welt“ [Joh 18,36], wird er einst sagen. Und auch wenn es kaum einer begreift, jetzt nicht und dann nicht, er ist gekommen nicht um zu herrschen, sondern um zu dienen und sein Leben zu geben [vgl. Mk 10,45].

So ist er. Und so begegnet er uns jedes Mal, wenn uns Gutes zuteilwird, unverhofft, gegen alle Gesetzmäßigkeit unserer Erfahrung und unseres Wissens – eben wunderbar und himmlisch.

Dann, wenn ihr hungrig seid und durstig, das legt uns Johannes ans Herz, hört IHN sagen und versteht, wie er’s meint: „Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten“ [Joh 6,35].

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.