20. Sonntag nach Trinitatis

Text: Hld 8,6b–7
Thema: Die Liebe ist stark wie der Tod…
Ev. Emmausgemeinde Eppstein
Pfarrer Moritz Mittag

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Von der Liebe ist zu reden. Und wo von der Liebe geredet wird, ist der Kitsch nicht weit. Zuckersüß und haarscharf bis meilenweit an der Wirklichkeit vorbei. „Liebe“- als Grieche der Antike, würde ich fragen: Welche meinst Du? Immerhin werden da acht Spielarten der Liebe unterschieden. Die zu beschreiben ist hier nicht der Ort [vgl. https://de.thpanorama.com/blog/filosofia/los-10-tipos-de-amor-segn-los-griegos-cul-es-el-tuyo.html ] In dieser Vielfalt kommt zum Ausdruck, dass die Liebe etwas dem Menschen und dem Menschlichen zutiefst Aufgegebenes ist. „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ [Mk 12,31]. Fallen die beiden Pole auseinander, kommt der ganze Mensch aus der Balance.

Heute hören wir Worte aus einem Lied. Man hat es auch das „Lied der Lieder“ genannt. Welch Auszeichnung! Was macht dieses Lied zum Lied der Lieder? Der ihm zugeschriebene Verfasser vielleicht? Es ist kein anderer als König Salomo, der Inbegriff eines Vertreters der Weisheit. Das dürfte den Ausschlag dafür gegeben haben, das Hohelied, noch so eine Bezeichnung, in den biblischen Kanon aufzunehmen. Aber auch Salomo war einmal jung. Wer das Lied mal gelesen hat, kann sich vielleicht vorstellen, dass Redeweise, Bilder und Aussagen hier manch späterem Kleriker die Schamesröte ins Gesicht getrieben haben. Uns nicht. Vielleicht weil wir die Verse gar nicht mehr als erotische Literatur wahrnehmen, sondern als besonders raffiniertes Gotteslob. Wer ist wer und was ist was?

Von der Liebe heißt es im 8. Kapitel, in Vers 6:

6 Lege mich wie ein Siegel auf dein Herz, wie ein Siegel auf deinen Arm. Denn Liebe ist stark wie der Tod und Leidenschaft unwiderstehlich wie das Totenreich. Ihre Glut ist feurig und eine gewaltige Flamme. 7 Viele Wasser können die Liebe nicht auslöschen noch die Ströme sie ertränken. Wenn einer alles Gut in seinem Hause um die Liebe geben wollte, würde man ihn verspotten.

Die Liebe ist stark. Der Vergleich mit dem Tod, dem Unwiderstehlichen, verdeutlicht das. Zugleich bringt er eine Ernsthaftigkeit mit sich, die jedem seichten Liebesgeflüster entgegentritt. „Die Liebe ist stark wie der Tod.“ [Hld 8,6b] Aber nicht nur Liebe und Tod stehen in einem besonderen Verhältnis zueinander, auch Liebe und Leben. Die eine ist ohne das andere nicht und auch nicht das andere ohne die eine. Wer so von der Liebe spricht, dem geht es um das Ganze, um Leben und Tod, um alles. Und um den Herrn, um Gott. Du sollst ganz und gar, als Mensch mit deinem Handeln – Herz und Hand, hier steht „Arm“, besiegelt sein durch mich.

Wer durch wen? Eine Geliebte durch den Geliebten, der die Macht seines Gefühls besingt? Oder ist es tatsächlich oder am Ende Gott – mächtig wie sonst keiner: „Viele Wasser können die Liebe nicht auslöschen“ [Hld 8,7].

Wie auch immer – Liebe und Tod, Liebe und Leben, das sind Themen, die die Menschheit seit je her bewegen. Die antike Geschichte von Orpheus und Eurydike steht dafür. Orpheus betrauert den Tod der Geliebten und will sie durch seinen Gesang aus dem Totenreich zurückholen. In einer späteren Erzählversion gelingt ihm das, allen Widrigkeiten zum Trotz. Christoph Willibald Gluck hat sie 1762 der gleichnamigen Oper zugrunde gelegt. Sie endet mit „Trionfi Amore“.

Immer ist es in diesen Geschichten ein Ringen der Kräfte des Lebens und der Liebe mit dem Tod. Denn stark wie der Tod ist die Liebe. Oder stärker. So sehen wir in der Passion Christus nach Golgatha gehen. Unschuldig. Dem Tod preisgegeben, dem Willen des Vaters gehorchend und darin den Widersacher überwindend. „Der Tod ist verschlungen in den Sieg“ [1. Kor 15,54], weil die Liebe Gottes dem Leben zum Sieg verholfen hat.

Die Liebe Gottes. Spielt sie in all dem Lieben der Menschen überhaupt eine Rolle, oder sind da nicht Verlangen und Begehr, Triebe und Hormone die wahren Treiber?

Auch dazu äußert sich der singende König. Denn er beschreibt die Macht der Liebe und sagt: „Ihre Glut ist feurig und eine gewaltige Flamme.“ [Hld 8,6c] Ja, sie kann auch verbrennen, auch die Liebenden. Daran denken wir, wenn wir wie Romeo unter dem Balkon der Julia stehen oder weniger romantisch ganz einfach den Kopf verlieren.

Die Liebe, feurig entflammt, setzt die Üblichkeiten außer Kraft. So viel Hingabe erlaubt der Alltag nicht. Sie ist auch gefährlich – ich erinnere nur an Samson, der sich Delila hingibt und scheußlichen Verrat erlebt [Hinweis auf Rembrandts Bild im Städel]. Nicht weniger grausam wirkt die eifernde, ja eifersüchtige Liebe eines Othello. Sie bringt der Geliebten Desdemona den Tod. Ja, die Liebe, die gewaltige Flamme, ist nichts für jene, die es lau mögen.

So viel Feuer und Flammen, da drängen sich Bilder der Erscheinung des Herrn auf. So viel Licht geht von ihm aus, dass das menschliche Auge, ja, der Mensch selbst ungeschützt darin verzehrt würde. Und hier im Text hängt an der „lodernden Flamme“ noch ein „-jah“. Ist das der Hinweis darauf, dass diese lodernde Flamme Gottes ist? So wie das Lob mit dem -jah“, das Halleluja, Gott preist?

Es wäre die einzige Stelle im Hohenlied, an der ausdrücklich von Gott die Rede ist. Und es stimmte zusammen. Denn woher soll sonst die Liebe kommen, die stark ist wie der Tod – oder stärker?

Woher sollte die Liebe kommen, mit der Bassam Aramin dem Volk begegnet, dessen Soldaten seine zehnjährige Tochter, Abir, erschossen? Und woher die von Rami Elhanan, der seine dreizehnjährige Tochter Smadar bei einem Selbstmord-Attentat verlor, das drei Palästinenser verübt hatten? Woher, wenn nicht aus den tiefsten Tiefen des Menschlichen, bewegt durch den heiligen Geist Gottes?

Colum McCann [Apeirogon] zeichnet den Weg der beiden Familien und der Väter nach, die von Hass und Vergeltung zu (Feindes-) Liebe und Vergebung finden. Auf ihre Weise haben beide die Welt überwunden, in der ganz andere Gesetze gelten, Gesetze von Macht, Unterwerfung, Terror und Tod. Sie beide zeigen, die „Liebe ist stark wie der Tod“. Wer von denen, die sich in den Burgen der Feindschaft verschanzt haben, versteht die beiden? „Wenn einer alles Gut in seinem Hause um die Liebe geben wollte, würde man ihn verspotten.“ [Hld 8,7]

Ja, wer jetzt davon träumt, dass eines Tages die tiefen und so schmerzlichen Wunden des Krieges verheilen, wer nicht aufgibt, um Frieden und Versöhnung zu beten, wer der Liebe mehr vertraut als dem Tod, mag auf das Kreuz verweisen. Am dritten Tag verwandelt Gott es in einen Lebensbaum, der davon erzählt, dass „wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm“ [1. Joh 4,16b] – denn „Gott ist die Liebe“ [ebd.].

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.