21. Sonntag nach Trinitatis
Text: 1. Mose 13,1–12(13–18)
Thema: Entflechtung
Ev. Emmausgemeinde Eppstein
Pfarrer Moritz Mittag
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.
Abram und Lot sind verwandt. Lot ist als Sohn Harans ein Neffe Abrams. Die beiden sind miteinander unterwegs. Der jüngere Lot folgt seinem Onkel, als dieser nach Kanaan aufbricht. Auch als dort eine Hungersnot ausbricht und Abram zwingt, einen Ausweg zu finden, ist Lot dabei. Vom Südland „zog Abram hinab nach Ägypten“. Dort finden er und die mit ihm sind ein Auskommen. Danach kehren sie wieder ins Südland zurück.
1 So zog Abram herauf aus Ägypten mit seiner Frau und mit allem, was er hatte, und Lot mit ihm ins Südland. 2 Abram aber war sehr reich an Vieh, Silber und Gold. 3 Und er zog immer weiter vom Südland bis nach Bethel, an die Stätte, wo zuerst sein Zelt war, zwischen Bethel und Ai, 4 eben an den Ort, wo er früher den Altar errichtet hatte. Dort rief er den Namen des Herrn an.
Endlich kommen sie dort an, wo Abram einst einen ersten Altar errichtet hatte, um dem Gott zu dienen, der ihn in dieses Land berufen hatte. Man mag sich die Erleichterung der Beteiligten vorstellen. Von der Hochebene bei Bethel mag der Blick glücklich und stolz über das weite Land schweifen. Sie sehen auf die Hügel, die steinigen, wenig fruchtbaren Fluchten im Westen zum Mittelmeer hin und die grünen Matten hinunter zum Jordan.
5 Lot aber, der mit Abram zog, hatte auch Schafe und Rin-der und Zelte.
Es ist nur eine Frage der Zeit und dann wird klar, so kann es nicht weitergehen. „das Land konnte es nicht ertragen, dass sie beieinander wohnten; denn ihre Habe war groß und sie konnten nicht beieinander wohnen.“ [1. Mos 13,6]
Es sind zu viele Mäuler, die satt werden wollen. So viel gibt das Land nicht her. „Und es war immer Zank zwischen den Hirten von Abrams Vieh und den Hirten von Lots Vieh.“ [1. Mos 13,7]
Kommt hinzu, dass außer ihnen auch noch Kanaaniter und Perisiter dort leben. Die einen, meist Kaufleute und Händler phönizischer Herkunft, die anderen verlieren sich im Dunkel der Geschichte.
Aber stimmt die biblische Erzählung überhaupt mit dem überein, was Archäologen und Historiker heute zu rekonstruieren wissen? Wir sind gut beraten, die Erzählung als Erzählung zu verstehen.
Was sie uns vermittelt, tritt über die Jahrhunderte immer wieder deutlich zu Tage und das nicht nur im Gelobten Land. Es entstehen Konkurrenzen, wo mehr Mäuler satt werden wollen, als das Land zu ernähren vermag. Aus den Konkurrenzen werden Konflikte. Aus den Konflikten werden Kriege. Wie nah sind sich hier doch Gegenwart und Vergangenheit!
„Das Land konnte es nicht ertragen, dass sie beieinander wohnten“ [1. Mos 13,6] – das klingt nach einer salomonischen Formulierung. Sie vermeidet eine einseitige Schuldzuweisung. Kein „wegen Euch“ – das Land konnte es nicht ertragen…
Abram bemerkt das. Wird er nun das Recht des Älteren geltend machen oder desjenigen, den Gott berufen hat? Wird er auf seinen Anspruch bestehen, koste es, was es wolle?
„Da sprach Abram zu Lot: Es soll kein Zank sein zwischen mir und dir und zwischen meinen und deinen Hirten; denn wir sind Brüder.“ [1. Mos 13,8]
„Alle Menschen werden Brüder“ formuliert Friedrich Schiller 1785 in seiner Ode an die Freude. Eine hoffnungsvolle Vision, die sicher auch bei der Bestimmung dieses Textes in der Vertonung von Ludwig van Beethoven zur europäischen Hymne Pate gestanden hat. Kein Wunder, haben doch blutige Konflikte die Geschichte Europas geprägt bis hin zum Grauen des Zweiten Weltkriegs, von dem viele, wir auch vermutlich, hofften, es sei der letzte Waffengang gewesen. Wir haben uns geirrt.
Die gute Absicht muss ins Leere laufen, gibt es nicht auch einen guten Plan. Den offeriert Abram nun: „Steht dir nicht alles Land offen? Trenne dich doch von mir! Willst du zur Linken, so will ich zur Rechten, oder willst du zur Rechten, so will ich zur Linken.“ [1. Mose 13,9] Schon diesem Angebot wohnt der Verzicht auf Maximalforderungen inne. Kein mit dem Kopf durch die Wand. Keine Kompromisslosigkeit. Nichts, was Gegenwehr oder Aufbegehren provozieren würde. Stattdessen eine Strategie der Entflechtung.
Während ich darüber nachdenke und die Worte wäge, steht mir drohend und unheilvoll der gegenwärtige Krieg im Nahen Osten vor Augen. Was würde hier „Entflechtung“ bedeuten? Und was der Verzicht auf Maximalforderungen? Oder die Vorbehalte, Herabsetzung und Negierung der Existenzberechtigung hinter sich lassende Einsicht: „Wir sind Brüder.“
Dass es das nicht umsonst gibt, dass das kostet und zumindest zunächst weh tut, meint man den folgenden Worten abspüren: „Da hob Lot seine Augen auf und sah die ganze Gegend am Jordan, dass sie wasserreich war. Denn bevor der Herr Sodom und Gomorra vernichtete, war sie bis nach Zoar hin wie der Garten des Herrn, gleichwie Ägyptenland. Da erwählte sich Lot die ganze Gegend am Jordan und zog nach Osten.“ [1. Mose 13,10f.]
Für Abram und seine Leute bleibt der andere Teil, das karge Land der Berge und steinigen Gefilde. „Also trennte sich ein Bruder von dem andern, sodass Abram wohnte im Lande Kanaan und Lot in den Städten jener Gegend. Und Lot zog mit seinen Zelten bis nach Sodom.“ [1. Gen 13,11f.]
In die Sprache heutiger Politik übersetzt, könnte man das als Zwei-Staaten-Lösung bezeichnen. Beide sind sie für sich, ihr Auskommen und Ergehen verantwortlich. Im Falle Abrams bewährt sich der Grundsatz: „Der Klügere gibt nach.“ Oder in den Worten aus Jesu Bergpredigt: „Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen.“ [Mt 5,5] Unbestreitbar hat Abram etwas aufgegeben, um etwas anderes zu behalten. Das bessere Land gegen den Frieden. Dafür hat er einen ohne Zweifel günstigen Moment gewählt. Der liegt vor der Eskalation des Konflikts.
Die Erzählung aus dem 13. Kapitel im 1. Buch Mose gibt keine Blaupause für eine Nahost-Politik am Anfang des 21. Jahrhunderts. Aber sie gibt zu denken. Nicht zuletzt für Konflikte, deren Beteiligte wir unversehens werden beim Erben und Teilen, Beanspruchen und Übervorteilen. Ob es uns dann gelingt daran zu denken: „Wir sind Brüder“? Jesus, der Gottessohn, weiß: „Selig sind die Frieden stiften, denn sie werden Gottes Kinder heißen.“ [Mt 5,9]
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.