Letzter Sonntag nach Epiphanias
Text: 2. Kor 4,6–10
Thema: Herausforderung
Ev. Emmausgemeinde Eppstein
Pfarrer Moritz Mittag
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.
Paulus schreibt in 2. Kor 4,6-10:
(6) Denn Gott, der sprach: Licht soll aus der Finsternis her-vorleuchten, der hat einen hellen Schein in unsre Herzen gegeben, dass durch uns entstünde die Erleuchtung zur Er-kenntnis der Herrlichkeit Gottes in dem Angesicht Jesu Christi. (7) Wir haben aber diesen Schatz in irdenen Gefäßen, damit die überschwengliche Kraft von Gott sei und nicht von uns. (8) Wir sind von allen Seiten bedrängt, aber wir ängstigen uns nicht. Uns ist bange, aber wir verzagen nicht. (9) Wir leiden Verfolgung, aber wir werden nicht verlassen. Wir werden unterdrückt, aber wir kommen nicht um. (10) Wir tragen allezeit das Sterben Jesu an unserm Leibe, damit auch das Leben Jesu an unserm Leibe offenbar werde.
Gott erkennen – aber wie? Paulus beginnt seine Überlegung nicht mit dem, was Menschen können, denken und vollbringen können. Er beginnt mit Gott. Ihn charakterisiert er durch ein Zitat: „Aus der Finsternis leuchtet das Licht hervor.“ Der Satz stammt aus der Schöpfungsgeschichte. Er lässt etwas von den Möglichkeiten Gottes aufleuchten. Licht schafft er aus Finsternis. Und es ist dieser Gott, sagt Paulus, der in unseren Herzen Licht wer-den lässt, der uns in der Mitte unseres Menschseins – im Herzen – anspricht und verwandelt. Wo das geschieht, wird Gott erkannt in seiner Einzigartigkeit.
„Wo das geschieht“, sage ich. Wo geschieht es denn? Paulus sagt, „im dem Angesicht Christi“ geschieht es. Dort, wo Menschen Jesus begegnen, wird ihnen am ehesten klar, wer Gott ist. Übrigens führt das bei vielen Beteiligten nun keineswegs zur reinen Begeisterung. Zu oft steht der Christus dem Denken und Wollen selbst seiner eigenen Anhänger im Weg – dann ist er streng und klar, wo sie es lieber locker und leicht nehmen; dann ist er entgegenkommend und barmherzig, wo sie sich hinter ihren Argumenten verschanzen und ihre Standpunkte verteidigen; dann hält er auch die linke Backe hin, wo sie noch über den „Erstschlag“ räsonieren. Dieser Christus stört unsere Kreise. Ja, das tut er!
Sehr eindrucksvoll stellt das Dostojewskij in seinem „Großinquisitor“ dar. Gott stört unsere Kreise. Die Kreise unserer Pläne, die Kreise auch der Verwirklichung alles dessen, was wir selbst uns vorgestellt haben. Und nicht zuletzt die Blasen unserer Lebenslügen und Täuschungsmanöver. Die müssen angesichts der Schärfe seiner Konsequenz platzen. Wenn er der Maßstab ist, müssen wir uns unsere Unzulänglichkeit eingestehen. Und es hat keinen Sinn dabei nur auf die anderen zu zeigen. Das kann auch nicht der Sinn der in dieser Woche veröffentlichten Studie zum Missbrauch in der Evangelischen Kirche sein. Zeigt sie doch, dass dem mitleidigen Blick zu den katholischen Geschwistern in den vergangenen Jahren eine Selbsttäuschung zugrunde lag. Bei uns also auch! Und wie! Zerknirscht und getroffen nehmen wir das wahr und haben Abbitte zu leisten. Da, wo wir einen hellen Schein vermuteten, hat sich Finsternis eingenistet. Das verursachte Leid und seine Verdunkelung widersprechen, ja spotten der Gottesgabe. Auf diese Weise stören, ja, zerstören wir die Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes.
Aufklärung muss der Ahnung und dem Vermuten ein Ende machen, muss dafür sorgen, dass das Dunkel in unserer Kirche und, das wage ich auch jetzt zu sagen, in unserer Gesellschaft nicht das Licht erstickt. Muss das sein? Ja, das muss sein.
Paulus schreibt: „Wir haben aber diesen Schatz“ – „die Erleuchtung zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes“ – „in irdenen Gefäßen“ [2. Kor 4,6.7]. Die gehen leicht zu Bruch, sind alles andere als von unbegrenzter Haltbarkeit. Aber auch da, wo wir als irdenes Gefäß, die Gottes Gabe nicht zu fassen vermögen, zeigt sich unsere Unvollkommenheit.
Ist das nicht zum Verzweifeln? Dieses Scheitern, dieses Ungenügen, dieser Widerspruch zu dem, wofür wir eigentlich stehen wollen? Einerseits ja. Andererseits nein. Denn dieser Mangel, den wir deshalb an uns empfinden mögen, bekommt hier seinen Sinn: Die überlegene Kraft, die zu heilen vermag, die uns zu erwecken, zu beleben, zu befrieden und zur Erkenntnis zu bringen vermag, ist nicht uns. Es ist Gottes Kraft. Gnoti seauton – erkenne dich selbst – mahnt ein Graffito am Stadion von Delphi. Zur Selbsterkenntnis gehört, das demütige Eingeständnis: Wenn also einer heilt, erweckt, belebt, befriedet oder zur Erkenntnis führt, dann ist das Gott – und wir sind sein Werkzeug. Jesus hat genau das immer wieder deutlich gemacht. Ich denke an die Heilung des Taubstummen [Mk 7,31ff.]. Jesus nimmt sich zurück, vermeidet den großen Auftritt. Er bittet den Vater, öffnet sich zu ihm hin und zum Wirken seiner heilenden Kraft.
Ist das ein Weg, den wir nachgehen können? Vielleicht auch in dem traurigen Eingeständnis unserer eigenen Unzulänglichkeit? Die beschreibt Paulus in spannungsvollen Gegenüberstellungen: In allem sind wir bedrängt, aber doch nicht eingeengt. Wir wissen nicht, wo aus noch ein, aber den Weg verlieren wir dennoch nicht. [2. Kor 4,8] Verfolgt werden wir, aber nicht im Stich gelassen; zu Boden geworfen, aber nicht zunichte gemacht. [2. Kor 4,9] Immer tragen wir den Tod Jesu an unserem Leibe umher, damit auch das Leben Jesu an unserem Leib offenbar werde. [2. Kor 4,10] Paulus spielt auf die Taufe an, darauf dass wir in den Tod Jesu Christi getauft sind, damit wir auch Erben seiner Auf-erstehung sein mögen [Rm 6].
Stolpernd, manchmal vielleicht auch fallend, uns wieder aufrappelnd, verunsichert, infrage gestellt, den Tod in den Kleidern – ist das mein Leben? Ist es Ihres? Über weite Strecken ist es das nicht, jedenfalls entspricht das nicht unserer Selbstwahrnehmung. Dann sind wir, von Selbstzweifeln kaum geplagt, auf der Überholspur des Lebens unterwegs. Und es ist schön, Unbeschwertheit zu genießen, die Sehnsucht danach ist groß bei uns. Und für Momente, Phasen und manchmal Strecken unseres Lebenswegs wird sie erfüllt.
Aber dann ist da auch das andere, das, wovon Paulus schreibt. Da leiden wir an der Welt, wie sie ist und wie wir sie gestalten. Da sehen wir in Augen, aus denen der Schrecken spricht, oder in Augen, die das Leid hat stumpf werden lassen. Da müssen wir zusehen, wie jemand unbeirrbar in sein Elend läuft. Da sind wir mit unserem Latein am Ende. Da erschüttern uns die Meldungen und Nachrichten des Tages. „In allem sind wir bedrängt“ [2. Kor 4,8], sagt Paulus, und wir verstehen ihn. Wo ist da der Glanz von innen? Wo ist der Schatz in irdenen Gefäßen? Wo ist das Licht aus der Finsternis? Wo ist Gott?
Die tastende Antwort: Da, wo ein Auge sich öffnet, den anderen aufmerksam zu sehen, wo ein Ohr offen ist für die Zwischentöne, wo ein Mensch für einen anderen da ist. Da, wo wir nach Gott fragen, zu ihm kommen, uns an ihn wenden, um danach verwandelt nach Hause zu gehen. Da, wo wir Worte der Aufrichtigkeit finden, wo wir trösten und aufrichten, nachfragen und zuhören.
Dabei mag sich das einstellen, was Paulus andeutet:
- In allem sind wir bedrängt, aber doch nicht eingeengt. Wir wissen nicht, wo aus noch ein, aber den Weg verlieren wir dennoch nicht.
- Verfolgt werden wir, aber nicht im Stich gelassen; zu Boden geworfen, aber nicht zunichte gemacht.
- Immer tragen wir den Tod Jesu an unserem Leibe umher, damit auch das Leben Jesu an unserem Leibe offenbar werde. [2. Kor 4,8-10]
Im Festhalten an dem in manchen Situationen bewährten Glauben können wir zerbrechliche Tonkrüge unseren Zweck erfüllen und Gott Raum lassen durch seine Kraft zu wirken – in uns und durch uns.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.