3. Sonntag nach Trinitatis
Text: Jona (3,10)4,1–11
Thema: Du und dein Rizinus
Ev. Emmausgemeinde Eppstein
Pfarrer Moritz Mittag
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.
Mit Widerwillen hat Jona den Auftrag entgegengenommen, nach Ninive aufzubrechen. Die Stadt und mehr noch das Volk, dessen Hauptstadt Ninive ist, haben einen Ruf wie Donnerhall. Es ist Machtzentrum der damals dominierenden Weltmacht Assyrien. Die gebärdet sich, wie Großmächte sich zuweilen gebärden: Man nimmt sich, was man haben will, und diktiert das Leben der Unterworfenen. Das und die schiere Größe der Metropole im oberen Zweistromland trägt zum Ruf bei, den Ninive bei den Zeitgenossen Jonas genießt: Es ist ein Sündenpfuhl. Später würde man gesagt haben: Es ist ein Babel. Das, und vielleicht der Umstand, dass Jona vom Lande die für seine Verhältnisse riesige Stadt scheut, lässt den Beauftragten Gottes, das Weite suchen.
Wir kennen alle die Geschichte des Jona. Sein Versuch, sich zu entziehen, scheitert, lässt ihn symbolisch den Tod durchleben, als er im Bauch des Fisches von den finsteren Tiefen des Meeres verschlungen wird. Dort gelobt Jona Umkehr: Ja, ich werde tun, was Du mir aufgetragen hast!
„Und der Herr sprach zu dem Fisch, und der Spie Jona aus ans Land.“ [Jona 2,11] Und tatsächlich, Jona macht sich auf nach Ninive und predigt dort, wie ihm geheißen war. Und, oh Wunder! die Leute hören auf ihn. Selbst der König zeigt Reue, geht, für alle sichtbar, in Sack und Asche, ja, für’s ganze Land befiehlt er Fasten und Buße. „Wer weiß, ob Gott nicht umkehrt und es ihn reut und er sich abwendet von seinem grimmigen Zorn, dass wir nicht verderben.“ [Jona 3,9] Ihre Hoffnung heißt: Reue gegen Reue, Umkehr für Umkehr. Leben.
„Als aber Gott ihr Tun sah, wie sie umkehrten von ihrem bösen Wege, reute ihn das Übel, das er ihnen angekündigt hatte, und tat’s nicht. [Jona 3,10]
Als hätte er das vorhergesehen! Und dann auch noch dieser Weg mit all seinen Widrigkeiten bis hierher nach Ninive! Als ob die nicht ihre Strafe verdient hätten! Stattdessen: Verschonung. „Das aber verdross Jona sehr, und er ward zornig 2 und betete zum Herrn und sprach: Ach, Herr, das ist’s ja, was ich dachte, als ich noch in meinem Lande war. Deshalb wollte ich ja nach Tarsis fliehen; denn ich wusste, dass du gnädig, barmherzig, langmütig und von großer Güte bist und lässt dich des Übels gereuen.“ [Jona 4,1f.]
Es ist offensichtlich: Jona ärgert die Barmherzigkeit Gottes. Hat er vergessen, dass er ihr sein Leben verdankt? Aber setzt dem noch eins drauf: „So nimm nun, Herr, meine Seele von mir; denn ich möchte lieber tot sein als leben.“ [Jona 4,3] Spätestens hier kommt uns der Verdacht, Gott könnte in Jona einen überaus schwierigen Mitarbeiter beauftragt haben. Einer, der sich aus der Verantwortung zu stehlen versucht, der damit Unbeteiligte in Gefahr bringt, der sich mit seiner Rolle nicht anfreunden aber auch nicht begnügen will. Wunderbar, wie gelassen Gott reagiert. „Aber der Herr sprach: Meinst du, dass du mit Recht zürnst?“
Für Einwände scheint der Zürnende nicht zugänglich zu sein. Er sucht seine Schmollecke. „Und Jona ging zur Stadt hinaus und ließ sich östlich der Stadt nieder und machte sich dort eine Hütte; darunter setzte er sich in den Schatten, bis er sähe, was der Stadt widerfahren würde.“ [Jona 4,5]
Seine Hoffnung ist, dass Gott die Stadt doch noch vernichten wird und er dabei zusehen könnte. Aber da draußen ist es heiß. Die Sonne brennt. Schlechte Voraussetzungen dafür, dass der Zorn verraucht. Sein Auftraggeber könnte sich sagen: Den kannst du vergessen! Der will mit dem Kopf durch die Wand!
„Gott der Herr aber ließ einen Rizinus wachsen; der wuchs über Jona, dass er Schatten gab seinem Haupt und ihn errettete von seinem Übel. Und Jona freute sich sehr über den Rizinus.“ [Jona 4,6] Immerhin, er kann sich noch freuen! Die großen Blätter des Rizinus verschaffen Erleichterung in der Hitze des Tages. Jona nimmt, was er kriegen kann. Er freut sich, aber zur Dankbarkeit reicht es offenbar nicht. Die setzt ja voraus, dass ich mir darüber im Klaren bin, dass ich die Wohltat, für die ich dankbar bin, nicht verdient habe. Es ist nicht sein Verdienst, dass der Rizinus, der übrigens rasant schnell wächst, sein schützendes Dach über ihn gebreitet hat. Braucht Jona noch eine weitere Lektion? Er hat einen guten Lehrmeister.
„Aber am Morgen, als die Morgenröte anbrach, ließ Gott einen Wurm kommen; der stach den Rizinus, dass er verdorrte.“ Als aber die Sonne aufgegangen war, ließ Gott einen heißen Ostwind kommen, und die Sonne stach Jona auf den Kopf, dass er matt wurde. Da wünschte er sich den Tod und sprach: Ich möchte lieber tot sein als leben. [Jona 4,7f.]
Schon wieder! Schon wieder das Selbstmitleid und der Hang, das Kind mit dem Bad auszuschütten. „Da sprach Gott zu Jona: Meinst du, dass du mit Recht zürnst um des Rizinus willen? Und er sprach: Mit Recht zürne ich bis an den Tod.“ [Jona 4,9]
Man ist versucht, Jona zuzurufen: „Du mit deinem Rizinus!“ Wäre da nicht eine leise innere Stimme, die wisperte: „Und du mit deinem Rizinus!“ Habe ich am Ende selbst so einen Rizinus in meinem Lebensgarten stehen oder stehen gehabt? Etwas, was ich nicht selbst initiiert, nicht selbst hervorgebracht oder gepflegt habe, was ich nur in aller Annehmlichkeit genutzt habe.
Der Friede. Die Freiheit. Die Wohlfahrt. Sind das auch Rizinuspflanzen, in deren Schatten wir uns aufhalten? Und sicher gibt es noch andere, individuelle Schattenspender.
Gott erklärt, was es mit dem Rizinus auf sich hat: „Und der Herr sprach: Dich jammert der Rizinus, um den du dich nicht gemüht hast, hast ihn auch nicht aufgezogen, der in einer Nacht ward und in einer Nacht verdarb, und mich sollte nicht jammern Ninive, eine so große Stadt, in der mehr als hundertzwanzigtausend Menschen sind, die nicht wissen, was rechts oder links ist, dazu auch viele Tiere?“ [Jona 4,10f.]
Da hat Gott einen Punkt. Mit Jonas Sorge und Bemühen ist es lange nicht so weit her. Da kann er, da keiner mit Gott mithalten. Und das gilt offenbar auch für die Liebe, die Sorge und die Barmherzigkeit, die Gott für seine Schöpfung hegt.
Sogar für die Stadt mit den fremden Göttern und den Feinden seines Volkes, ja, selbst um die Tiere sorgt er sich. Ihnen allen gilt sein Mitleid. Wir sind da schon wählerischer – oder?
Wie auch immer – ich wüsste gerne, wie Jona diese Ansage aufgenommen hat. Immer noch zornig oder trotzig oder doch ein wenig beschämt? Ich erkenne den gnädigen Gott wieder, der uns in Jesus Christus begegnet und verstehe aus dieser Geschichte heraus, dass Gott auch an uns Menschen leidet, ja, dass wir gelegentlich seinen Zorn herausfordern. Und ich denke, wenn er mit Jona, diesem Arbeitsverweigerer und Wutbürger etwas anfangen kann und ihn zu seinem Botschafter beruft, dann wird er auch mit mir und mit uns etwas anzufangen wissen. Das mag uns zuversichtlich stimmen, auch wenn deshalb die wispernde Stimme nicht verstummt, die fragt: „Wieviel Jona ist in Dir, Du mit Deinem Rizinus!“
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.