Christvesper – 24.12.2023
Text: Lk 2,11
Thema: Zeitenwende?!
Ev. Emmausgemeinde Eppstein
Pfarrer Moritz Mittag
Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.
„Euch ist heute der Heiland geboren!“ ruft der Engel denen zu, die mitten in der Nacht noch auf den Beinen sind und als Hirten zusehen, wie sie über die Runden kommen. Für sie ist Licht Mangelware, dafür gibt’s Gefahren und damit verbundene Ängste en masse. Jetzt im Lichte des Geschehens blinzeln sie und gewöhnen sich langsam an das ungewohnte Licht. Noch viel länger brauchen sie, um zu verstehen, was um sie herum geschieht. Erst jetzt fassen sie Mut und widerstehen ihrem ersten Impuls davonzulaufen. Verharren sie erst da, wo sie stehen, sehen wir sie kurz darauf loslaufen, um nachzusehen, was es mit diesem Heiland auf sich hat.
Die Botschaft von seiner Geburt und später davon, wie er Menschen aus dem Abseits holt, Kranke heilt, mit seiner Zuwendung Unwahrscheinliches bewirkt, breitet sich aus. Ja, sein Tod am Kreuz wird nicht zum Schlussstrich unter einer Episode göttlichen Wirkens, sondern mit dem Ostermorgen, als er das Grab hinter sich lässt, zum Doppelpunkt: Es ist ein Evangelium, das er hinterlässt, eine gute, frohe Botschaft, die auch uns heute Abend zusammenkommen lässt.
Ihre Wirkung entfaltet sich selbst in den Zeiten der Unterdrückung. Aber erst im 6. Jh n.Chr. wird das – „anno domini“ – „im Jahre des Herrn“ – erstmals definiert und bestimmt unseren Kalender seit den Karolingern im 8. Jh. n.Chr.. Nun steht der christliche neben dem jüdischen und ersetzt den römischen Kalender. Damit einher geht ein Paradigmenwechsel: Der König, ein Diener des Volkes, kommt im Stall zur Welt. Ganz nebenbei: Der Kalender hat auch eine politische Bedeutung, ist Ausdruck einer Zeitenwende: anno Domini. Ähnlich der Entschluss der Ukraine, sich von jetzt an dem westlichen Kalender anzuschließen und das Weihnachtsfest nicht mehr am 6. Januar, wie das in der russischen Orthodoxie üblich ist, sondern mit uns zu feiern.
„Euch ist heute der Heiland geboren!“ Wir hören den Ruf des Engels am Ende eines Jahres, in dem unser Lebensschifflein in raue See geraten ist. Kaum hatten wir die Pandemie überstanden und sahen das Virus gebändigt, begann der Angriffskrieg Russlands gegen seinen westlichen Nachbarn. Seitdem werfen die Wogen des Geschehens den Finanzmarkt, die Energieversorgung und unser Sicherheitsempfinden hin und her. Zuletzt erschrecken uns der Überfall der Hamas auf Israel und das Elend des Krieges im Gaza-Streifen. Wir beobachten das Ringen verschiedener Mächte um Einfluss und Vormachtstellung. Selbst die Klimakrise entwickelt sich hier zum Schlachtfeld. Und wir spüren, dass wir selbst und unsere Kultur in Europa an Einfluss verlieren und die Welt sich neu ordnet. Wer weiß, nach welchem Kalender die Welt nach uns sich richten wird?
Der Kanzler hat die Zeitenwende ausgerufen. Die hat eine äußere und eine innere Seite. Meist, das ist beiden gemeinsam, kommt der Wind zur Wende von vorne. Das ist nicht nur beim Segeln so.
Der Wind, der einem ins Gesicht weht, und einen zum Umdenken veranlasst. Da sind wir. Viele Veränderungen stehen an. Man kann das Gefühl bekommen, dass nichts so bleibt, wie wir es kennen. Manche erfüllt das mit Sorgen und Ängsten, zumal wir in vielerlei Hinsicht im Dunkeln tappen, wie einst die Hirten auf dem Felde. Wollen auch wir den Rückzug antreten, uns ins Private zurückziehen, schauen, dass wir selbst, vor allem wir selbst unsere Schäfchen ins Trockene bringen?
Nein, wir sind ja hier, weil wir den Ruf des Engels hören wollen: „Euch ist heute de Heiland geboren!“ Wir suchen die frohe Botschaft. Wir suchen das Licht der Weihnacht, das die Dunkelheit, die uns umgibt, durchbrechen kann. Wir suchen den verheißenen Frieden, der uns von innen erfüllt, unsere verletzten Seelen heilt und der Hoffnung Raum gibt, für Frieden in der Welt. Was sollen wir auch ohne diese Hoffnung tun? Was bleibt uns, wenn wir den Glauben verlieren, dass die Liebe, die Gott uns schenkt, damit wir sie weitergeben, Tod und Teufel überwinden wird?
Der Engel und der Chor der Engel ermutigen uns, in der Nacht der Welt darauf zu vertrauen, dass der Morgen kommt und das Licht siegt. Jeder Morgen verweist auf die Zeitenwende, die mit der Geburt Jesu anno Domini vollzogen wurde. Drum: „Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; 11 denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids.“
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.