Christmette – 24.12.2023
Text: Lk 2,1–20
Thema: Eine bewegende Nacht
Ev. Emmausgemeinde Eppstein
Pfarrer Moritz Mittag
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.
Die Weihnachtsgeschichte kennen wir alle gut, nehme ich an. Das junge Paar, das sich auf den Weg nach Bethlehem macht. Unter uns: Bethlehem ist ein Kaff. Ein kleiner Ort, man könnte ihn fast übersehen. Muss darum der Prophet Micha ein Ausrufezeichen hinter seinen Namen setzen? „Und du, Bethlehem Efrata, die du klein bist unter den Tausenden in Juda, aus dir soll mir der kommen, der in Israel Herr sei, dessen Ausgang von Anfang und von Ewigkeit her gewesen ist.“ [Mi 5,1] Ausgerechnet Bethlehem also. Die beiden lenken ihre Schritte dahin, weil seine Familie, Nachfahren des berühmten Königs David, von dort stammen. In den meisten Krippenspielen, die wir je mitverfolgt haben, treffen Josef und die schwangere Maria auf eine Situation, wie wir sie aus der Hochsaison im Sommer oder Winter kennen. „Zimmer belegt“. Oft genug haben wir mit den beiden gelitten, wenn sie von Tür zu Tür gegangen und überall abgewiesen worden waren. Schließlich landen sie in einem Stall. Nicht die erste Wahl für eine Niederkunft, werden wir uns gedacht haben, aber immerhin. Zur Geburt gibt’s nicht mehr als das Notwendigste: „Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln.“ [Lk 2,7] Alles andere – Menschliche – bleibt uns, den Krippenspielen übrigens auch, erspart. Jetzt ist er da und kaum geschehen, wendet sich die Aufmerksamkeit vom Innen zum Außen.
Da ist Nacht. Wenn’s uns auch schwerfällt, es sei denn, wir litten an nächtlicher Schlaflosigkeit, haben wir verstanden, dass mit der Nacht zur Zeit Jesu allerlei beunruhigende Vorstellungen verbunden waren. Kein Mensch, der dazu nicht gezwungen war, setzte in der Nacht einen Fuß vor die Tür. Nur den Hirten, den armen Kerlen, bleibt nichts anderes übrig. Deshalb und weil sie im Umgang mit den Tieren nach den Kult-Regeln der Juden unrein wurden, standen sie am unteren Ende der gesellschaftlichen Leiter. Salopp gesagt: Sie waren das Letzte. Das machte sie uns schon als Kinder mit einem gewissen Sinn für Gerechtigkeit sympathisch. Obwohl, wir wären gerne länger aufgeblieben, um uns mit der Nacht zu befreunden…
Was jetzt geschieht, darf nicht im Weihnachtskitsch untergehen. Es ist revolutionär: Die Hirten, ausgerechnet sie, sind die Ersten, die das Evangelium, die frohe Botschaft, erfahren. Ihre Hände sind schwielig und allenfalls dreckig. So nehmen sie die Beine in die Hand. Wer weiß, wie das Ganze ausgegangen wäre, hätte der Engel nicht sie, sondern solch ordentliche Bürger angesprochen, wie wir das sind, oder die Hofdamen in Caesarea, die nur Augen haben für den Luxusleib des Königs Herodes? Ihre goldberingten Hände hätten wahrscheinlich müde abgewunken. So what? Kommen nicht minütlich irgendwo auf Welt Kinder im Dreck zur Welt?
Nicht so die Hirten, diese nächtlichen Jammergestalten! Allerdings sind in diesem Moment sie die Privilegierten. Immerhin öffnet sich der Himmel vor ihren Augen, als der Engel vor ihnen steht: „und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie“ [Lk 2,9]. Heißt das, was sich hier mitteilt, ist so wahr und so unvergleichlich, dass kein Faktencheck es erfassen, ausloten und auch nur annähernd bewerten könnte?
Die Menschen auf der Schattenseite trauen ihren Augen nicht, für kurze Zeit verstehen sie die Welt nicht mehr. Sie sind verunsichert, ja, „sie fürchteten sich sehr“ [Lk 2,9].
Hat ihre Furcht eine Ähnlichkeit mit dem Gefühl, das man uns als Kinder lehrte? Betraten wir eine Kirche, hielt man uns an, uns ganz zurückzunehmen, zu flüstern, zu staunen und innezuhalten, eingedenk der Vorstellung, für uns war es eine Tatsache, dass in diesem Raum Gott wohnte. Der Höchste!
Die Furcht der Hirten dürfte über jene Ehrfurcht weit hinausgegangen sein, so unmittelbar wie die Begegnung mit dem Engel sich ereignete. Die sprengt alle Vorstellungen und Maßstäbe. Aber die Botschaft des Engels ordnet das noch nie dagewesene. Schon die ersten Worte wirken beruhigend:
„Fürchtet euch nicht!“ [Lk 2,10] Das wollen wir uns auch gesagt sein lassen heute Abend. „Fürchtet euch nicht!“ [Lk 2,10] Zumal der die Begründung uns auch angeht: „Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; 11 denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids.“ [Lk 2,10f.] Das, worauf das Volk Israel seit Jahrhunderten wartet, ist Wirklichkeit geworden in dieser Nacht. Wie zur Beglaubigung schickt der Engel die Hirten hin, das Kindlein zu sehen: „Und das habt zum Zeichen: Ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen.“ [Lk 2,12] Ob die wissen, wie ihnen geschieht? Gott ist Mensch geworden. Dieser fängt seinen Lebensweg an, wie wir ihn alle anfangen – „in Windeln gewickelt“. Den Abschluss findet diese Szene einer Offenbarung durch „die Menge der himmlischen Heerscharen, die lobten Gott und sprachen: Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens. [Lk 2,13f.].
Dieser Frieden, den uns Gott durch Jesus Christus anbietet, ist nicht nur ein Zustand der Ruhe im Gegensatz zu Krieg und Verfolgung, sondern ein völliges Zufrieden-Sein mit Gott, Heil und Segen. Dahin kommen wir weder mit Hilfe dekorativer Elemente, nicht mit Kitsch und Kommerz und auch nicht mit revolutionärem Aufbegehren.
Dieser Friede, das Geschenk der Weihnacht, ist für uns nicht verfügbar. Gottes Gnade beschert ihn uns – auch dann, selbst dann, wenn wir noch in dunkler Nacht unterwegs sind.
Irgendwann sind die einfachen Männer wieder unter sich – noch benommen vielleicht von dem Erlebten, aber entschlossen, der Botschaft auf den Grund zu gehen. „Lasst uns nun gehen gen Bethlehem und die Geschichte sehen, die da geschehen ist, die uns der Herr kundgetan hat.“ [Lk 2,15] So eindringlich wirken die Worte des Engels, dass das alles nicht warten kann bis morgen. Eilends machen sie sich auf den Weg und, siehe da, sie finden den Stall, Maria und Josef und das Kind in der Krippe. Es ist alles so wie angekündigt. Soll man das für sich behalten? Soll man das auf sich beruhen lassen? Oder muss die Botschaft des Engels nicht weitergesagt, verbreitet werden? „Da sie es aber gesehen hatten, breiteten sie das Wort aus, welches zu ihnen von diesem Kinde gesagt war.“ [Lk 2,17]
Die Mitteilung von der Geburt eines Kindes ist an sich schon ein beglückender Akt mit ansteckender Freude. Ich habe meine Nachbarin vor Augen, die vor nicht allzu langer Zeit schon so sehr strahlte, dass ich wusste, jetzt ist es da, das erwartete und ersehnte (Enkel-)Kind. Ihre Worte bestätigten nur das, was ich schon gesehen hatte.
Im Falle der Hirten wundern sich die Leute über die Botschaft, die die Hirten ihnen mitteilten. Ausgerechnet Hirten! Hätte es nicht seriösere Botschafter gegeben? Glaubwürdigere Gestalten? Vielleicht geistliche Autoritäten? Und doch machen die Worte Eindruck: „denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus“ [Lk 2,11]. Auch Maria hört sie so sagen. Bei ihr würde ich zuerst erwarten, dass sie weiß, was hier geschieht und was das bedeutet.
„Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen.“ [Lk 2,19] An dieser Stelle erinnere ich mich immer an das Krippenspiel, das wir an meinem rheinhessischen Wohnort vom Kindergottesdienst-Team mit den Kindern eingeübt hatten. Dieser Satz kam im Krippenspiel auch vor. Wortwörtlich. Aber nur in der Vorlage. Das Mädchen, mit dem wir ihn einstudiert hatten, pflegte ihn anders zu sagen. Bis zuletzt hatten wir mit ihr geübt. Und dann an Heiligabend in der proppenvollen Kirche war es wieder an ihr zu sprechen, und sie sagte: „Und Maria bewegte sich in ihrem Herzen.“ Damals dachte ich, „alles vergebens“. Heute denke ich: „Und doch nicht verkehrt.“ Denn es ist nicht nur ein intellektueller Vorgang diese Bewegung der Worte im Herzen. Es ist mehr als das und vielleicht die einzig angemessene Weise, sich das Geschehen und die Worte des Engels gesagt sein zu lassen.
Maria lässt diese Worte in ihr Innerstes, bis zu ihrem Herzschlag, der in diesem Moment sie und diese Worte bewegt.
So findet sie eine Übereinstimmung, die weitaus schwerer wiegt als ein „Stimmt“ oder „Recht so“. Im Herzen zu bewegen sind diese Worte immer wieder aufs Neue. „Heute ist heute der Heiland geboren!“ – „Christus“ – „Friede auf Erden“.
So gehen sie mit Maria und mit uns, begleiten uns, wenn wir hoffen und wenn wir zweifeln, werden bewegt und bewegen uns als Teil dieser großen Geschichte Gottes mit den Menschen, die Lukas so einfach erzählt.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.