7. Sonntag nach Trinitatis
Text: Apg 2,41–47
Thema: Ikonische Gemeinde
Ev. Emmausgemeinde Eppstein
Pfarrer Moritz Mittag

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Bei einen hängen sie an der Wand, bei anderen haben sie ihren Platz auf dem Schreibtisch oder auf dem Vertiko. Kennen Sie den Ausdruck noch für das Möbelstück, das als „ein vertikal ausgerichtetes Behältnismöbel“ definiert wird?

Einerlei. Die Bilder vergegenwärtigen uns die Personen, die wir darauf sehen.

Die Urlaubsfotos erinnern uns an hoffentlich frohe Stunden. Sie wandern ins Album oder – Zeichen der Zeit – in die Datei. Nicht neu, aber auf die Spitze getrieben, sind jene Fotografien, die vor allem der Selbstdarstellung dienen. So nimmt man heutzutage einige Anstrengungen auf sich, um ein angesagtes Ziel zu erreichen und von dort ein Foto zu posten. Nachahmung ist hier das Gebot der Stunde. Drum brechen alljährlich Hunderte auf, um den Gipfel des Mount Everest zu erreichen. Die immensen Kosten, die horrende Verschmutzung der Umwelt und das hohe Risiko, Gesundheit und Leben auf’s Spiel zu setzen, können sie nicht abschrecken, sich in Szene zu setzen.

Das ist wohl ein menschliches Bedürfnis – sich in Szene zu setzen. Schaut her, wer ich bin und was ich kann! Gemeinden können so was auch. Ob das Lukas bei seiner zusammenfassenden Darstellung gemeindlichen Lebens in der ersten Christenheit geleitet hat? Man könnte den Eindruck haben. Aber hören Sie selbst den Predigttext aus Apg 2, 41-47:

41 Die nun sein Wort annahmen, ließen sich taufen; und an diesem Tage wurden hinzugefügt etwa dreitausend Menschen. 42 Sie blieben aber beständig in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft und im Brotbrechen und im Gebet. 43 Es kam aber Furcht über alle, und es geschahen viele Wunder und Zeichen durch die Apostel. 44 Alle aber, die gläubig geworden waren, waren beieinander und hatten alle Dinge gemeinsam. 45 Sie verkauften Güter und Habe und teilten sie aus unter alle, je nachdem es einer nötig hatte. 46 Und sie waren täglich einmütig beieinander im Tempel und brachen das Brot hier und dort in den Häusern, hielten die Mahlzeiten mit Freude und lauterem Herzen 47 und lobten Gott und fanden Wohlwollen beim ganzen Volk. Der Herr aber fügte täglich zur Gemeinde hinzu, die gerettet wurden.

Unwillkürlich vergleichen wir. Dreitausend neu getaufte Christen am Tag stehen gegen 1369 Kirchenaustritte pro Tag gegenüber, die die beiden großen Konfessionen im letzten Jahr verzeichnen mussten.

Mögliche Reaktionen auf den Bericht des Lukas wären nach erstem Staunen:
– betroffene Scham – meine Güte, wie weit haben wir uns doch vom Ursprung entfernt!
– Grundsätzliche Kritik – so was hat’s nie gegeben auch nicht in der Urgemeinde!
– oder geschichtliche Relativierung – das mag’s ja mal gegeben haben, damals, aber wir leben heute!

Bevor wir uns in Abwehrhaltungen verschanzen oder, was ja auch eine schöne Form persönlicher Entpflichtung darstellt, von andern fordern, dass sie tun, wozu wir nicht bereit sind, frage ich lieber mal, was eigentlich Lukas seinen Lesern und Hörern vermitteln will? Sind das geschönte Erinnerungen? Ist das das leuchtende Vorbild, an dem sich alle zu orientieren haben?

Das Bild, das Lukas hier von der Gemeinde zeichnet, steht in einem größeren Zusammenhang. Das Pfingstwunder, die Pfingstpredigt und die neue Gemeinde. Kein Beschluss hat sie ins Leben gerufen, kein Mensch hat sie gegründet. Gott hat gehandelt. Sie ist sein Werk und nicht das eines besonders gewieften Gemeindemanagements! Sie setzt keine Maßstäbe, denen nachzueifern eine reine Willenssache wäre. Der Text ist kein Programm, sondern eine Einladung.

Lukas will doch wohl ermutigen, auch im Gemeindeleben damit zu rechnen, dass Gott selbst zur Wirkung kommt und möglich macht, was uns so nicht unbedingt gelingt.

Man hat den Text eine Ikone genannt. Also auch ein Bild. Aber eines zum Anschauen und Meditieren. Eines, durch das das Gezeigte gegenwärtig ist. Lukas‘ Gemeinde. Lukas‘ Bild von Gemeinde repräsentiert die Kirche Jesu Christi.  Aber halt! Ist das unser Bild von Kirche bzw. Gemeinde und Kirche?

Wir sind es gewöhnt, die Kirche als Pyramide zu sehen, denken an eine hierarchische Gliederung mit denen da oben und uns hier unten.

So sehen wir das häufig im Bogenfeld über dem Portal einer gotischen Kathedrale. Hier bei Lukas, sieht das Bild ganz anders aus: Um eine Mitte herum sind kleine Szenen gemalt. In ihnen herrschen viel Leben und Bewegung. Es wird gepredigt und gelehrt, verkauft und ausgeteilt, gegessen und getrunken, gesungen und gebetet. Und auch die dunkleren Farben fehlen nicht: Furcht antwortet auf die Wunder und Zeichen der Gegenwart Gottes.

All diese Bilder entfalten ihre Wirkung auf dem Goldgrund von Freude, Lob und Dank. Wenn wir das Gemälde betrachten, fragen wir uns schon: Das soll Kirche sein? Wir sehen Leute bei alltäglichen Beschäftigungen einander zugewandt und miteinander am Werk. Wir erleben solche Momente auch und spüren dann, ja, so soll es sein. Das ist gut.

In der bunten Menge fehlen die Zeichen von Besitz und Macht. Jeder hat, was er braucht. Die Tore des Tempels, die Türen und Fenster der Häuser sind offen. Keine Abgrenzung. Es kommen welche vom Rand, offenbar angelockt durch die ansteckende, festliche Freude, und werden eingeladen, den Weg der Gemeinschaft Christi mitzugehen.

Er steht im Zentrum des Bildes. Er ist die Mitte der Gemeinschaft. Er ist der tragende Grund ihres Lebens, ist die Quelle ihrer Freude, aus der ihr Kraft zur Erneuerung zufließt. Von ihm her und auf ihn hin ist alles sinnvoll geordnet.

Ist das zu schön, um wahr zu sein?

Sinn und Aufgabe einer Ikone ist die Vergegenwärtigung des Dargestellten. Im Wesentlichen handelt es sich um vier Grundlagen der christlichen Gemeinschaft – und vielleicht kennen wir die ja auch aus unserem Zusammenleben in der Gemeinde: Lehre, Gemeinschaft, Abendmahl und Gebete.

Mit „Lehre“ meine ich nicht den auswendig gelernten Katechismus, sondern das, was die Apostel, sie lebten ja damals noch, der Gemeinde zu sagen hatten – und dabei auch nicht irgendetwas, sondern „was Christum treibet“, wie Luther das ausgedrückt hat.

Das hatte wenig gemeinsam mit unserer Betrachtung alter Urlaubsfoto oder dem modernen Bedürfnis, sich in Szene zu setzen. Hier ist eher die Absicht der Vergegenwärtigung, wie wir sie von der Ikone kennen, das Ziel.

Es ging darum das eigene Leben jetzt und dann auch in veränderter Situation auf dem Hintergrund von Jesu Leben und Botschaft zu reflektieren und zu verstehen. Das ist das, was wir üblicherweise sonntags, aber nicht nur sonntags versuchen.

Das alles braucht die Gemeinschaft, die motiviert, bremst, kritisiert, anfeuert und trägt. Sie war am Anfang der christlichen Geschichte überschaubar. Das war sicher gut so und ein Vorteil. Jeder kannte jeden. Und jeder war in viel stärkerem Maße, als wir das sind oder meinen, auf die anderen und die Gemeinschaft angewiesen. Wo es uns gelingt, die Kraft der Gemeinschaft einzusetzen und anzunehmen, gewinnen wir. [Schulklasse, Nachbarschaft, Altenheim-Bewohnerschaft]

Und doch empfinden wir Gemeinschaft oft zwiespältig. Wir suchen die Gemeinschaft und fliehen sie. Wir sehnen uns nach ihr, und fürchten von ihr vereinnahmt zu werden. In unseren Gottesdiensten suchen wir offene Gemeinschaft, sind aber selbst oft gefangen in fragwürdigen Rollenfestlegungen mit oben und unten, Gut und Böse usw.. Aber wenn wir Gemeinschaft erleben, und das kommt ja zum Glück vor, sind froh und dankbar und vergessen, für Momente jedenfalls, was uns sonst daran hindert.

Eine dritte Markierung hatte Lukas mit dem Abendmahl gesetzt. Lebendige Gemeinschaft untereinander und mit Christus. Es gehört zum Glaubensleben der Gemeinde. Das Mahl verbindet uns mit Christus, bzw. wir verbinden uns mit IHM, indem wir Brot und Wein empfangen und in uns aufnehmen. Wir spüren dabei, wie das uns versöhnen kann, stärken und in die Gemeinschaft der Gläubigen holen kann, die nicht wir selbst hervorgerufen haben. Mit frohem Ernst und ernster Freude sind wir dann zusammen, um danach gestärkt auseinander zu gehen.

Und das Gebet? „Bitte beten Sie für…“ Immer wieder höre ich diesen Satz. Jedes Mal berührt einen das Zutrauen, das darin zum Ausdruck kommt. Und ja, wir tun gut daran zu beten. Geht es Ihnen auch so, dass das „Stille Gebet“ oft nicht lang genug währt, um für all die zu beten, die einem in den Sinn kommen. Für die Kranken, die Vereinsamten, die Sterbenden, die Zweifelnden, Verlassenen, Aufbrechenden, Trauernden, uns nahen Menschen. Dabei tun sich Welten auf! Es geschieht etwas mit uns. Wir sind verbunden und spüren es. Das tut gut.

„Sie blieben aber beständig in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft und im Brotbrechen und im Gebet“. Sind wir das? Auf alle Fälle kommt es für uns als Gemeinde darauf an, uns daran zu orientieren. Und selbstverständlich gehört dazu miteinander zu teilen, was wir haben. Dabei kann nur spüren, dass geben seliger ist als nehmen [Apg 20,35], wer es praktiziert. Der allerdings wird Freiheit empfinden, Freiheit von den Dingen und Freiheit zur Tat.

Kein Grund, die Schilderung der Jerusalemer Gemeinde als Messlatte zu verstehen, an deren Maß wir nur zu scheitern hätten! Stattdessen Bestärkung: Was gut ist, lasst uns weiter machen. Für das, was fehlt, lasst uns Platz schaffen. Herz des Ganzen sind nicht wir, sondern ist der lebendige Gott, und der vollbringt seine großen Taten am liebsten mit vielen kleinen Leuten.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.