3. Sonntag nach Epiphanias
Text: 2. Kön 5,(1–8)9–15(16–18)19a
Thema: Naamans Heilung
Ev. Emmausgemeinde Eppstein
Pfarrer Moritz Mittag
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.
Geschichten gibt’s! Man möchte den Kopf schütteln vor Verwunderung. Im einen Fall erfährt man, die Sache habe sich tatsächlich so und nur so zugetragen. Im anderen Fall kommt heraus, die Geschichte verdanke sich einem großartigen Erzähler. Mit dieser Art von Geschichte bekommen wir es heute zu tun. Wer sie nachlesen möchte, kann das im 2. Buch der Könige tun, dort im 5. Kapitel. Ich entscheide mich für das kommentierte Erzählen, das zudem erlaubt, den einen oder anderen Seitenblick zu riskieren. Und die Frage, was uns diese Geschichte sagen will, klärt sich entweder durch die Erzählung selbst oder eben nicht. Was wir hören und wie wir es hören, haben weder der Erzähler noch seine Hörer in der Hand. Es geschieht.
Wir sitzen zusammen in einer Runde. Immer wieder ergreift jemand das Wort und erzählt. Alle Beteiligten wissen darum, wie die Dinge stehen. Es sind düstere Zeiten. Die Nachrichten sprechen Bände. Am Horizont türmen sich bedrohliche Wolkengebirge auf – Sorgen-Wolken. Wer weiß, was da noch kommt?
Ihr kennt Naaman? Den Syrer. Nicht? Sein Name bedeutet übersetzt „der Angenehme“. Ist das der passende Name für einen Militär? Keine kleine Nummer, nebenbei bemerkt. Naaman ist Feldhauptmann der Aramäer. Was er sagt, gilt. Was er befiehlt, wird befolgt. Und Naaman hat Erfolg. Die leuchtende Spur seiner Karriere läuft von Sieg zu Sieg. Man kann sagen, er hat seinen Laden im Griff. Und trotzdem gäbe er was dafür, aus seiner Haut herauszukommen. Die nämlich macht ihm zu schaffen. Ob es juckt oder nässt, bin ich Heilkundiger? Ich weiß es nicht. Aber die eigene Haut plagt den Mächtigen. Was auch immer er versucht hat, der Erfolg war ausgeblieben. Ist das nicht grotesk? Der politisch und militärisch so mächtige Mann, erlebt sich seinem Körper und Leiden unterworfen.
Soll ihn das zum Nachdenken bringen? Wie lebe ich? Was mute ich mir und anderen zu? Kann es so weitergehen? Muss ich etwas ändern? Solche Fragen kennen wir auch. Sie rücken an uns heran, wenn wir in eine ähnliche Situation kommen, wie Naaman.
„Immer wenn du glaubst es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her.“ Mehr als ein Lichtlein ist das auch nicht, werden die Feldscher im Heer des Königs von Aram diagnostiziert haben. Sie alle haben sich schon daran versucht, das Problem des Feldhauptmanns zu lösen. Und jetzt tritt eine junge Frau, nein, ein Mädchen! aus der Kulisse. Das Lichtlein. Sie gehört zu den Bediensteten seiner Frau. Alles aus ihrer Heimat verschleppte Frauen. (Da soll noch mal einer behaupten, die Geschichte wiederhole sich nicht. – Die Geiselnahme als Mittel der Kriegsführung feiert in Russlands Krieg gegen die Ukraine Urständ und wiederholt sich jüngst beim Angriff der Hamas auf Israel.)
Dieses Mädchen hat längst das Seufzen und Klagen im Haus des Naaman bemerkt. Sie traut sich ihrer Herrin zu sagen: „Ach, dass mein Herr wäre bei dem Propheten in Samaria! Der könnte ihn von seiner Krankheit befreien.“ [2. Kön 5,3]
Ist es die pure Verzweiflung oder jener Funke Hoffnung, der in vielen Kranken glimmt. Der gibt auch den Anstoß, die Kapazität am anderen Ende der Welt – und sei es die politische oder geistige Welt – aufzusuchen, voll verzweifelter Hoffnung, dass die es richten werde. (Uns fallen Staatsoberhäupter, Diktatoren und Machthaber ein, die in der Not sogar beim Klassenfeind einrückten. Und wer wollte es ihnen verdenken?)
Aber einfach so, das geht nicht. Zuvor braucht’s die Genehmigung von Seiten des Dienstherrn und einige diplomatische Vorarbeit. Der König von Aram (Syrien) schreibt einen Brief an den König von Israel. Die Genehmigung in der Hand und zehn Zentner Silber, sechstausend Schekel Gold und zehn Feierkleider im Gepäck macht sich Naaman auf den Weg nach Samaria. (Um das Ganze ein wenig einzuordnen: Die Reisekasse ist aus heutiger Sicht von immensem Wert. Mit den 33,6 kg Gold, um nur die zu nennen, könnte sich manch Promi-Arzt eine goldene Nase verdienen.)
Naamans Absichten sind – vielleicht ausnahmsweise – friedlich. Weiß das auch der König von Israel, Joram, der den machthungrigen Nachbarn schon von Berufs wegen argwöhnisch beobachtet? Der liest im Brief seines Kollegen aus Aram, Ben Hadad: „Wenn dieser Brief zu dir kommt, siehe, so wisse, ich habe meinen Knecht Naaman zu dir gesandt, damit du ihn von seiner Krankheit befreist.“ [2. Kön 5,6]
Joram wird blass und schwitzt. Auch das noch! Wenn das mal keine Falle ist! Und als er „den Brief las, zerriss er seine Kleider“. [2. Kön 5,7] Er mag sich denken: Was wird passieren, wenn ich nicht halten kann, was der andere sich verspricht. „Bin ich denn Gott, dass ich töten und lebendig machen könnte?“ [2. Kön 5,7]
Das muss der doch wissen! Bestimmt sucht er Streit mit mir, einen Vorwand für eine Art „Spezialoperation“. Immerhin, dem König – Joram – ist klar, wo seine Grenzen liegen. Nur einer reagiert vollkommen „cool“. Das ist Elisa, der Prophet. Dessen Name vermittelt das Programm. Er lautet übersetzt „Gott hilft“. Ob er daher sein Selbstbewusstsein hat?
Jedenfalls lässt er den König – Joram – wissen: „Lass ihn zu mir kommen, damit er innewerde, dass ein Prophet in Israel ist.“ [2. Kön 5,8] Na, da wird Naaman noch staunen! Nicht nur, dass ein Prophet da ist, sondern auch was das bedeutet.
Kurz darauf sehen wir den mächtigen Militär mit allen Zeichen seiner Macht bei Elisa vor dem Haus vorfahren. Hat jener einen großen Bahnhof erwartet, so muss er feststellen, dass der Prophet nicht einmal aus dem Haus kommt, ihn zu begrüßen. Nein, er schickt einen Boten. Affront.
Wir können uns vorstellen, dass Naaman kocht vor Zorn. Er reist ab, schmollt, phantasiert, wie es eigentlich hätte ablaufen müssen. Fast geht darüber die Anweisung des Propheten unter. Der hatte gesagt: „Geh hin und wasche dich siebenmal im Jordan, so wird dir dein Fleisch wieder heil und du wirst rein werden.“ [2. Kön 5,10]
„Als ob wir nicht auch Flüsse hätten! Wenn’s das Baden macht, das kann ich auch zuhause!“ Wutschnaubend bläst er zum Rückzug. Aber auch jetzt kann er nicht aus seiner Haut, seiner Plage.
Schon wieder sind es Subalterne, Leute, die eigentlich nichts zu sagen haben, seine Diener diesmal, die ihm raten, die Weisung zu befolgen. „Lieber Vater (etwas Schmeichelei muss sein), wenn dir der Prophet etwas Großes geboten hätte, würdest du es nicht tun?“ [2. Kön 5,13]
Also ab in den Jordan. Siebenmal rein und raus. Untertauchen und Auftauchen. Solche Bilder mag man vom Taufen im Jordan im Sinn haben.
„Und sein Fleisch wurde wieder heil wie das Fleisch eines jungen Knaben, und er wurde rein.“ [2. Kön 5,14] Das fühlt sich an, wie eine Heimkehr, eine „Rückkehr in einen Körper, in dem man sich zu Hause fühlt“ [Horst Gorski].
Erstaunen und tiefe Dankbarkeit. Das Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit als Wohltat empfunden. Wieder zurück bei Elisa, spricht er es aus: „Siehe, nun weiß ich, dass kein Gott ist in allen Landen außer in Israel“ (quod erat demon-strandum). Ein Bekenntnis. Das Bekenntnis eines Fremdlings, eines Heiden. Ist das nicht besonders viel wert?
Elisa verliert darüber kein Wort. Die reichlichen Gaben, all das Silber und Gold und die Prunkgewänder, will er nicht. Für ihn zählt eine andere Währung oder besser: eine andere Wahrheit. Das ist Gottes Wille und Macht.
Die scheinen in dieser Episode hell auf. Wenig später verdunkeln die politischen und militärischen Aktivitäten schon wieder das Bild. Die Aramäer greifen Israel an. Der Wahnsinn geht weiter. Aber die Worte Elisas, zum Abschied gesprochen, hallen nach. Sie sind Verpflichtung und Auftrag für all jene, die sich wie Naaman zu Gott bekennen. Elisa „sprach zu ihm: Zieh hin mit Frieden!“ [2. Kön 5,19]
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.