18. Sonntag nach Trinitatis

Text:       Eph 5,15–20
Thema: Versteht, was der Wille des Herrn ist.
Ev. Emmausgemeinde Eppstein
Pfarrer Moritz Mittag

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Paulus ist tot. Drei Jahrzehnte nach Jesu Tod am Kreuz, führt ein Henker in Rom den tödlichen Streich aus. Der römische Bürger Paulus wird hingerichtet, wie es sich für einen anerkannten Römischen Bürger gehört: Durch das Schwert. Etwas länger dauert es, bis überall dort, wo der Apostel aufgetreten war, die traurige Nachricht bekannt ist.

Und jetzt? Wer soll jetzt die eindringlichen Briefe schreiben? Wer soll die gefährlichen Reisen auf sich nehmen? Wer mit so viel Herz und Glut den Glauben an Jesus von Nazareth bezeugen?

Gibt es überhaupt eine Zukunft für die kleinen Christengemeinden? Wer steht dafür? Wer nimmt den Platz des Paulus ein? Hat er vorgesorgt und gute Leute um sich geschart? Wen hatte er ausersehen? Wir wissen es nicht? Vielleicht neigen wir auch dazu, das, was zu regeln ist, zu überschätzen. Wie weiland Wilhelm Busch bemerkte: „Erstens kommt es anders, zweitens als man denkt.“

Heute jedenfalls hören wir Sätze (wir sagen Verse dazu) aus einem Brief an die Epheser. Sie stammen wohl aus der Feder eines jener Nachfolger des Paulus. Er macht seine Sache gut, formuliert einprägsame Sätze. Wir hören jetzt die Verse 15 bis 19 aus dem vorletzten, dem 5. Kapitel:

Eph 5 15 So seht nun sorgfältig darauf, wie ihr euer Leben führt, nicht als Unweise, sondern als Weise, 16 und kauft die Zeit aus, denn die Tage sind böse. 17 Darum werdet nicht unverständig, sondern versteht, was der Wille des Herrn ist. 18 Und sauft euch nicht voll Wein, woraus ein unordentliches Wesen folgt, sondern lasst euch vom Geist erfüllen. 19 Ermuntert einander mit Psalmen und Lobgesängen und geistlichen Liedern, singt und spielt dem Herrn in eurem Herzen 20 und sagt Dank Gott, dem Vater, allezeit für alles, im Namen unseres Herrn Jesus Christus.

Die junge Christengemeinde in der Hafenstadt Ephesos hat alle möglichen Spielarten des Lebens und der Lebensführung vor Augen. Da sind die Wohlhabenden in ihren prächtigen Villen. Ein ganzer Hofstaat Bediensteter und Sklaven sorgt für sie. Was das Land hervorbringt und der Hafen aus aller Welt hierher zusammenführt, das können sie sich leisten. Auch Emporkömmlinge haben in Ephesos ein Zuhause. Das Glück ist wetterwendisch. Auf See gilt das und im Handel. Manch einen reißt’s empor, während ein anderer in jähem Fall seine Existenz verliert. Nicht zu vergessen der Kiez. Ja, Ephesos wird ähnlich wie Hamburg eine Reeper-bahn gehabt haben. Da fließen Schnaps und Wein in Strömen und Eros gibt’s im Sonderangebot. Ein ganzes Heer von Sklaven hält Wirtschaft und öffentliche Einrichtungen in Schuss. So wenig Rechte die Menschen besitzen, so wichtig sind sie doch, um das Räderwerk dieser Gesellschaft am Laufen zu halten.

In dieser Gesellschaft haben die Christen begonnen, ihren Platz einzunehmen. In ihrer Gemeinde spiegeln sich die örtlichen Verhältnisse. Alle Gruppen sind vertreten: Die Großkopferten ebenso wie Sklaven, kleine Angestellte ebenso wie Prostituierte.

„So seht nun sorgfältig darauf, wie ihr euer Leben führt.“ [Eph 5,15] Wie soll das gehen, wenn jeden Morgen der Wecker um 6 Uhr klingelt, alles schnell, schnell gehen muss, man zum Bus oder zum Bahnhof hastet, mit der S-Bahn in die Stadt jagt, ins Büro, an den PC, in Telefonate und Konferenzen, zum Flieger und wieder woanders hin, vernetzt mit Auftraggebern, Fragestellern, Interessenten…? Wie soll das gehen, wenn jemand zwischen Beruf und Familie, Partner, Kindern und Heranwachsenden, Freizeitgestaltung und Schulalltag, und was da sonst noch auf einen eindringt, seinen Weg finden muss? Wo ist da Platz für Sorgfalt und Bedachtsamkeit?

Aber ist der Rat deshalb verkehrt? Seht sorgfältig darauf, wie ihr euer Leben führt, damit ihr’s klug anpackt! Und wie kriege ich das hin?

Beim Geschriebenen hilft Abstand. Und im Leben? Da hilft es immer wieder aus dem Trubel aufzutauchen. Momente der Stille finden. Zeit des Nachdenkens. Das Gelebte und das zu Lebende überblicken. Den Irrweg erkennen oder gewiss werden, den rechten Kurs gefunden zu haben.

Geschriebenes lassen wir Korrektur lesen. Ein anderer kann Ungereimtheiten und Fehler besser erkennen. Ließe sich das Verfahren übertragen? Das eigene Leben einmal neu in den Blick nehmen, vielleicht auf eine andere Weise? Jemanden drauf schauen lassen, ja, Korrektur lesen lassen, damit der Sackgassen, Umwege oder Abgründe erkennt, vor denen ich blind bin?

In einer allgemeinen Form ist der Gottesdienst eine Gelegenheit, das eigene Leben neu in den Blick zu nehmen, ja, einen andern Korrektur lesen zu lassen. Wenn ich das Sündenbekenntnis höre, die Bitte um Vergebung ausspreche, wenn ich das Glaubensbekenntnis, das Vaterunser bete, dann führt das in mir, ich weiß nicht, ob’s Ihnen auch so geht, zu einem Abgleich. Stimmt das, was du tust, wie du lebst? Ist das in Ordnung so?

Kann uns solches Fragen und Betrachten davor bewahren, in die Irre zu gehen, das Falsche zur Angewohnheit werden zu lassen, wo es doch kein richtiges Leben im falschen geben kann [Adorno, Minima Moralia].

„Darum werdet nicht unverständig“ [5,17], rät der Epheserbrief. Woher aber den Verstand nehmen, der ja ein Verständnis und ein Verstehen voraussetzt? Ist Ihnen auch schon aufgefallen, dass alle Weisungen im Plural stehen? Nicht der einzelne allein wird angesprochen, sondern eine Gemeinschaft. Kann sein, dass wir uns an derlei erst wieder gewöhnen müssen, so individualisiert, wie wir unterwegs sind.

„Versteht, was der Wille des Herrn ist“ [Eph 5,17], empfiehlt der Brief.

Und was soll das sein? Kein Gesetz, so hatte Paulus das gepredigt. Dabei wüsste man da doch woran man ist. Wer aber kennt den Willen Gottes? Und wer, das ist eine Steigerung, wer versteht ihn? Müsste man dazu nicht selbst Gott sein? Und bleibt sein Wille darum nicht verborgen? Einerseits ja. Wir haben den Willen des Herrn nicht. Es ist ja sein Wille. Drum bitten wir: „Dein Wille geschehe!“ [Mt 6,10] Andererseits wie das aussieht und was das bedeutet, das zeigt uns Jesus. Wollen wir Gottes Willen verstehen, müssen wir auf seinen Sohn sehen. Sein Lebensweg führt dazu, dass er sein Kreuz auf sich nimmt, sich bedingungslos hingibt, für andere – für uns – einsteht und da, wo kein Halten mehr ist, sein Wohl und Wehe in Gottes Hand legt. So überwindet er den Tod. „Versteht, was der Wille des Herrn ist.“ [Eph 5,17]

Das beginnt damit, dass wir nach diesem Willen fragen. Dass es uns überhaupt etwas bedeutet, Gottes Wille zu verstehen. Dass wir danach fragen und forschen. Dann werden wir unsere Frage in die Gemeinschaft mitnehmen, die sich immer wieder versammelt, um auf Gottes Wort zu hören. In immer neuen Anläufen werden wir uns diesem Wort nähern, es befragen und uns einen Reim darauf machen. Und das genau bleibt unsere Aufgabe. Ihr Konfirmanden fangt gerade damit an. Vieles ist Euch dabei fremd. Wenn Ihr’s verstehen wollt, müsst Ihr Euch damit vertraut machen. Auch der Konfirmandenunterricht soll Euch dabei helfen, zusammen zu fragen und zu forschen, was Gottes Wille ist – jetzt, in dieser besonderen Situation, bei einer anstehenden Entscheidung, am Ende eines Tages. „Versteht, was der Wille des Herrn ist.“ [Eph 5,17]

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.