Von 1978 bis 1985 schuf Marc Chagall (1887-1985) neun Fenster für den Ostchor und das Querschiff von St. Stephan in Mainz; es sind die einzigen Glasfenster des weltberühmten Malers in Deutschland. Jedes Jahr kommen rund 200.000 Besucher nach Mainz, um sie zu betrachten.

Zur Geschichte:
Nach Abschluss der Wiederherstellung der im Krieg schwer zerstörten Kirche wandte sich Pfarrer Klaus Mayer im Frühjahr 1973 an den jüdisch-russischen Künstler Marc Chagall mit der Bitte, im Ostchor der St. Stephanskirche mit von ihm gestalteten Kirchenfenstern ein Zeichen zu setzen. Der Kontaktaufnahme folgten Briefe und später Begegnungen. Chagall, der in Frankreich eine Heimat fand, reagierte zunächst sehr zurückhaltend, weil er mit Deutschland nach dem Holocaust gebrochen hatte.

Dennoch begann der Künstler im Dezember 1976 mit dem Entwurf für ein Mittelfenster. Am 23. September 1978 wurde das erste Chagall-Fenster der Kirchengemeinde übergeben. Hauptthema dieses ersten Fensters ist Chagalls Vision vom „Gott der Väter“, dem „Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs“.

Chagall zitiert dazu Begebenheiten aus dem Alten Testament, wie etwa Abraham und die drei Engel, das Opfer des Isaak, Jakobs Traum und Mose, als er dem Volk die Gesetze bringt. Darüber schwebt der Engel Gottes mit dem siebenarmigen Leuchter in der Kirche: Symbol für Licht, Leben, Frieden, Freude und Heil.

Schon kurze Zeit nach der Fertigstellung des Mittelfensters begann der damals 91-jährige Künstler mit den Entwürfen für die beiden flankierenden Mittelfenster mit der „Vision der Heilsgeschichte“. Chagall hat auf diesen Fenstern seine Vision um den Aspekt der Heilsgeschichte erweitert. Er stellt unter anderem das Paradies, die Schöpfung, die Brautwerbung für Isaak und den am Kreuz erhöhten Christus dar. Die beiden Fenster wurden am 15. September 1979 eingeweiht.

Nochmals machte sich der hochbetagte Künstler zur Jahreswende 1979/1980 an die Arbeit, um auch die seitlichen Fenster des Ostchores mit dem Thema „Lob der Schöpfung“ zu schaffen und damit den Chorraum zu schließen. Am 19. September 1981 wurden die drei seitlichen Fenster der Kirchengemeinde übergeben. Mit ihnen hat der Ostchor seine Geschlossenheit erhalten und damit der Chorraum sein optimales Lichtfluidum, da sich die Fenster auch gegenseitig vom Licht her beeinflussen.

Schließlich schuf Marc Chagall Ende 1982 – in seinem 96. Lebensjahr – auch die Entwürfe für die drei großen, dreibahnigen Fenster im Querhaus. Er wollte eine „Vorhalle“ – „Vorbereitung“ – auf die biblische Botschaft in den Fenstern des Ostchores schaffen. Am 11. Mai 1985 durfte die Kirchengemeinde die letzten Fenster Marc Chagalls in Empfang nehmen; kurz nach seinem Tod am 28. März 1985.

Die neun Mainzer Chagall-Fenster sind nicht nur in Glas gefasste Theologie. Sie stehen auch zeichenhaft für die jüdisch-christliche Verbundenheit, die Völkerverständigung und die französisch-deutsche Freundschaft. Denn all diese Aspekte – so sagte Monsignore Klaus Mayer – werden verkörpert in der Person Marc Chagalls, des aus Russland stammenden Juden, der in Frankreich lebte und arbeitete.