9. Sonntag nach Trinitatis
Text: Mt 25,14–30
Thema: Mehr Jesus wagen
Ev. Emmausgemeinde Eppstein
Pfarrer Moritz Mittag

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Den Predigttext lesen wir bei Mt 25,14–30:

14 Denn es ist wie mit einem Menschen, der außer Landes ging: Er rief seine Knechte und vertraute ihnen sein Vermögen an; 15 dem einen gab er fünf Zentner Silber, dem andern zwei, dem dritten einen, jedem nach seiner Tüchtigkeit, und ging außer Landes. Sogleich 16 ging der hin, der fünf Zentner empfangen hatte, und handelte mit ihnen und gewann weitere fünf dazu. 17 Ebenso gewann der, der zwei Zentner empfangen hatte, zwei weitere dazu. 18 Der aber einen empfangen hatte, ging hin, grub ein Loch in die Erde und verbarg das Geld seines Herrn. 19 Nach langer Zeit kam der Herr dieser Knechte und forderte Rechenschaft von ihnen. 20 Da trat herzu, der fünf Zentner empfangen hatte, und legte weitere fünf Zentner dazu und sprach: Herr, du hast mir fünf Zentner anvertraut; siehe da, ich habe fünf Zentner dazugewonnen. 21 Da sprach sein Herr zu ihm: Recht so, du guter und treuer Knecht, du bist über wenigem treu gewesen, ich will dich über viel setzen; geh hinein zu deines Herrn Freude! 22 Da trat auch herzu, der zwei Zentner empfangen hatte, und sprach: Herr, du hast mir zwei Zentner anvertraut; siehe da, ich habe zwei dazugewonnen. 23 Sein Herr sprach zu ihm: Recht so, du guter und treuer Knecht, du bist über wenigem treu gewesen, ich will dich über viel setzen; geh hinein zu deines Herrn Freude! 24 Da trat auch herzu, der einen Zentner empfangen hatte, und sprach: Herr, ich wusste, dass du ein harter Mann bist: Du erntest, wo du nicht gesät hast, und sammelst ein, wo du nicht ausgestreut hast; 25 und ich fürchtete mich, ging hin und verbarg deinen Zentner in der Erde. Siehe, da hast du das Deine. 26 Sein Herr aber antwortete und sprach zu ihm: Du böser und fauler Knecht! Wusstest du, dass ich ernte, wo ich nicht gesät habe, und einsammle, wo ich nicht ausgestreut habe? 27 Dann hättest du mein Geld zu den Wechslern bringen sollen, und wenn ich gekommen wäre, hätte ich das Meine wiederbekommen mit Zinsen. 28 Darum nehmt ihm den Zentner ab und gebt ihn dem, der zehn Zentner hat. 29 Denn wer da hat, dem wird gegeben werden, und er wird die Fülle haben; wer aber nicht hat, dem wird auch, was er hat, genommen werden. 30 Und den unnützen Knecht werft hinaus in die äußerste Finsternis; da wird sein Heulen und Zähneklappern.

„Wer hat, dem wird gegeben!“ Auch wer gar keinen oder nur den Schimmer einer Ahnung von der Bibel hat, kennt diesen Satz. „Wer hat, dem wird gegeben!“ Die einen sagen das komplizenhaft mit Augenzwinkern. Es ist zu vermuten, das sind die, die haben. Die andern äußern den gleichen Satz mit einiger Bitterkeit: So geht es zu in unserer Welt. Wer hat, der hat. Und er wird auch noch mehr haben, weil dem, der wenig hat, auch noch das Wenige genommen wird.

Und hier im Gleichnis geht’s um viel. Es geht um viel Geld. Ganz genau können wir den Gegenwert der Zentner oder Talente nicht ermitteln. Ein Talent, das entspricht den biblischen Zeiten etwa 10.000 Denaren. Ein Denar war der Lohn für das Tagwerk eines Tagelöhners. Damit bekam sogar der dritte Verwalter in unserer Geschichte, man könnte ihn ja beinahe für benachteiligt halten, den Tagelohn für 35 Jahre Arbeit. In Anbetracht der damals üblichen kürzeren Lebenserwartung reicht das für ein ganzes Leben.

Jesus spricht zu seinen Jüngern. Er bereitet sie vor auf eine Zeit, in der er nicht mehr mit ihnen unterwegs sein wird. Am liebsten erzählt er Gleichnisse. Die verwenden ein eindrückliches Bild oder eine einprägsame Geschichte. Das bleibt hängen. Noch Tage später ist es präsent.

Nun fragt sich, was ist die Botschaft des Gleichnisses von den anvertrauten Zentnern? Jetzt kommt es auf den Zusammenhang an. Würde es im Rahmen eines Ausbildungsmoduls im Bankwesen erzählt, wäre seine Bedeutung eine andere, als wenn es der Trainer seinem Sportler vor Augen hielte. Und hier? Vielleicht hilft es uns weiter zu fragen, wo das Gleichnis von den Zentnern bei Matthäus steht? Das ist gegen Ende des Evangeliums, dort wo in den Kapiteln 24 und 25 eine ganze Sammlung von Texten beieinander ist, die sich mit dem Ende der Zeit befassen. Zugleich schimmert der Abschied Jesu von seinen Jüngern durch und damit verbunden die Frage: Wie soll es weitergehen? Die junge Gemeinde stellt sich diese Frage auch, ja, wir selbst sehen uns in dieser Zeit von ihr herausgefordert. Wie soll es weitergehen?

Die Gewissheiten schwinden. Die Jünger machen keine Ausnahme, erst recht nicht, als Jesus sich von ihnen verabschiedet hat. Die junge Gemeinde wartet vergeblich auf das schnelle Ende dieser Welt und sieht sich herausgefordert, die lange Strecke zu bewältigen bis der Herr wiederkommt. „Von dem Tag aber und von der Stunde weiß niemand“ [Mt 24,36]. Und wir selbst stehen vor erheblichen Veränderungen, die auch unter uns die Frage laut werden lassen: Wie soll es weitergehen? Und um es im Sinne des Gleichnisses zuzuspitzen: Wie soll es weitergehen mit dem, was Gott uns anvertraut hat? Was ist das denn? Eigentlich alles, könnten wir hier antworten. Damit wären wir schnell bei den Themen, die uns ohnehin umtreiben: Die Bewahrung der Schöpfung, die Gerechtigkeit und der Friede in der Welt, der Schutz der Armen und Schwachen oder auch die Zukunft der Gemeinde. Die Reihe ließe sich fortsetzen.

Aber hier, im Gleichnis, stehen die anvertrauten Zentner für etwas anderes. Uns ist mit dem Kommen Jesu, und indem wir ihm nachfolgen, das Reich Gottes aufgegeben. Nicht dass wir es in Kraft setzen könnten, nicht dass wir es aus uns hervorbrächten, das nicht. Unser Auftrag besteht darin, das Reich Gottes zur Geltung zu bringen in der von uns verantworteten Gegenwart und Zukunft.

Wir sind beauftragt zu handeln. Nicht kleinmütig und verzagt, sondern beherzt und mutig. Mit dem, was uns anvertraut ist, so umgehen, dass es mehr wird, das es wächst. Mit materiellen Gütern kriegen wir das meist ganz gut hin. Wir wissen, was zu tun ist. Aber wie ist das mit dem Reich Gottes? Wie erreichen wir, dass es unter uns wachsen kann?

Eine vielleicht griffige Antwort lautet (frei nach Willy Brandt): Mehr Jesus wagen! Mehr von dem leben, was er vorgelebt hat. Was er hat an Gaben und Möglichkeiten setzt er ein, um Gott und seinem Reich Geltung zu verschaffen. Das geschieht auf so vielfältige Weise: Er sorgt dafür, dass Hungernde satt werden. Er gibt denen Halt, die in Ängsten und Nöten sind. Er betet, wo andere schlafen. Er bricht Regeln, die töten, um für das Leben einzutreten. Er gewinnt selbst Kräfte und Fähigkeiten, indem er sich mit Gott, dem Vater, verbindet. Er heilt die Kranken und wendet sich den Ausgestoßenen zu. Er vertraut mehr auf Gott als auf alle anderen Möglichkeiten und Sicherheiten. Er verzichtet auf Stolz und Eitelkeit und gibt Gott, dem Vater, die Ehre. Er gibt sich hin und nimmt Leid und Tod auf sich. Er steht auf und lässt den Tod hinter sich.

In all dem wächst das Reich Gottes. In all dem wird ersichtlich, wie Gott sich sein Reich vorstellt. All das gehört in der Sprache des Gleichnisses zu den Talenten, den Gaben, die uns anvertraut sind. Sie jetzt einzusetzen, da der Herr außer Landes gegangen ist [vgl. Mt 25,15], dazu ermuntert Jesus seine Jünger und damit auch uns.

„Ich bin nicht Jesus“, denke ich manchmal. Solange das keine billige Ausrede wird, ist der Gedanke nicht falsch. Und dennoch, Jesus hat uns wie der Herr im Gleichnis einige Talente, Gaben und Möglichkeiten hinterlassen. Sie beherzt annehmen und einsetzen das unsere Aufgabe. Und jede und jeder mag sich fragen, was ist das, was ich bekommen habe, was ich kann und zu geben in der Lage bin? Wie setze ich das so ein, dass die gute Gabe wachsen kann? Hausaufgaben mitten in den Ferien.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.