Jubilate
Text: 2. Kor 4,14–18
Thema: Gebrochenes Leid – gebrochener Jubel
Ev. Emmausgemeinde Eppstein
Pfarrer Moritz Mittag

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Beim Weg durch den Wald begegnet das wandernde Auge auf allen Seiten dem lichthellen Grün des frischen Buchenlaubs. Kommt dann in seltenen Momenten noch das strahlende Sonnenlicht hinzu, fängt alles an zu leuchten, und die Natur scheint uns zuzurufen: Jubilate! Jubelt! Die immer nahen dunklen Wolken, die den nächsten Schauer oder Hagelsturm ankündigen, können in diesem Moment daran nichts ändern. Im Gegenteil: Das strahlende Grün des Frühlings gewinnt noch vor der finsteren Aussicht.

Wer diese Wahrnehmung macht, atmet auf, fühlt sich ermuntert und ermutigt. Das tut gut. Mehr noch, es tut not, angesichts der drohenden Wolken am Horizont. Die scheinen sich allüberall aufzutürmen, sobald wir nur den Blick nach draußen wagen.

Mit Sorge sehen wir auf die Entwicklungen in unserer Gesellschaft, wo zu oft das Gespräch miteinander dem Gebrüll gegeneinander weicht. Wo Aggressionen in Worten und Taten an der Tagesordnung sind. Wo sich die Nachrichten über Versäumnisse und astronomischen Finanzierungsbe-darfen in der Infrastruktur des Landes wie die Schlaglöcher auf unseren Straßen aneinanderreihen. Der Blick in die Welt kann uns nicht beruhigen. Krisenherde schießen offensichtlich wie Pilze aus der Erde. Wer soll, wer kann all die Feuer löschen, die absichtlich gelegt oder aus den Gegebenheiten heraus aufgeflammt sind? Selbst in unseren Gemeinden und der ganzen Kirche wird die Frage, wie es in Zukunft weitergeht, oft bang gestellt. Man mag sich fragen, ob es noch Hoffnung gibt und wenn ja, woher.

Die Situation des Paulus und der Gemeinde in Korinth, der er einen zweiten Brief schreibt, ist sicher eine andere. Immer wieder sitzt Paulus im Gefängnis oder wird mit Schlägen aus der Stadt gejagt. Aber auch die Gemeinden stehen unter Druck. Mal kommt der von außen, wenn man ihre schiere Existenzberechtigung in Frage stellt, mal kommt er von innen, wenn dort auch mit harten Bandagen um den rechten Kurs gekämpft wird. Dann fängt sich auch Paulus so manche Breitseite ein, wird als Person und für sein Wirken harsch kritisiert. Selbstgemachte oder selbst zu schaffende Sicherheiten, die unbedingt halten, gibt es nicht. Das ist dem Apostel klarer als uns. Luther kann noch voller Überzeugung singen: „Mit unsrer Macht ist nichts getan, es streit für uns der rechte Mann.“ [EG 362,2]

Und dann? Was ermutigt den so oft angefeindeten Paulus immer wieder aufzustehen und den Mund aufzumachen? Er sieht auf die Schrammen, er spürt die blauen Flecken, die die Schläge hinterlassen haben und deutet sie. Ja, er misst ihnen eine Bedeutung bei, die für ihn einen Sinn ergibt. „Wir tragen allezeit das Sterben Jesu an unserem Leibe, auf dass auch das Leben Jesu an unserm Leibe offenbar werde“ [2. Kor 4,10], schreibt er. Es ist der Gedanke der Teilhabe. Teilhabe am Leid und Teilhabe an der Erlösung. Die stellt er den Korinthern vor Augen und nennt die Gründe dafür: „Denn wir wissen, dass der, der den Herrn Jesus auferweckt hat, wird uns auch auferwecken mit Jesus und wird uns vor sich stellen samt euch.“ [2. Kor 4,14]

Ihr in Korinth oder wo immer das zutreffen möge, die ihr um seinetwillen auch Leid und womöglich sogar Verfolgung auf euch nehmt, ihr gehört zur Leidens- und Lebensgemeinschaft Jesu. „Denn es geschieht alles um euretwillen, auf dass die Gnade durch viele wachse und so die Danksagung noch reicher werde zur Ehre Gottes.“ [2. Kor 4,15]

Macht euch das klar – auch hier und jetzt: Christus ist für euch gestorben und auferstanden.

Ich weiß auch, damit, dass wir das gebetsmühlenartig wiederholen, wird es für uns nicht leichter, es anzunehmen, ja, wahr-zu-nehmen. Liegt das daran, dass wir noch meinen, eine Wahl zu haben? Dass wir noch annehmen, wir selbst hätten die Mittel in der Hand, unser Wohl und das der anderen zu bewirken?

Was mag den noch freien Mann zu bewogen haben, sich in die Hände derer zu begeben, die ihn isolieren, von der Welt und der Menschengemeinschaft ausschließen und ihm nur den einen Ausweg lassen würden, den Tod? Erfolgreich war Alexej Nawalny damit nicht, aber war es deshalb sinnlos? Auch Paulus schlägt für sich keinen Platz an der Sonne heraus. Am Ende wird er in Rom hingerichtet. Und dennoch wird er nicht müde, diesen Christus, seinen Tod und seine Auferweckung zu predigen. „Darum werden wir nicht müde; sondern wenn auch unser äußerer Mensch verfällt, so wird doch der innere von Tag zu Tag erneuert.“ [2. Kor 4,16]

Wie erleben wir das? Wenn wir krank werden? Wenn die Kräfte schwinden? Wenn die Beschwerden des Alters an uns nagen? Oder aber, wenn wir solche Beschwernisse unserer Mitmenschen an uns heranlassen? Wenn wir nicht sagen: „Das kann ich nicht aushalten. Das tue ich mir nicht an.“ Wenn wir keinen weiten Bogen um das Leid der anderen machen oder auch unser eigenes Leid verdrängen.

In manchen Gesprächen mit Menschen im Krankenbett oder im hohen Alter auf einen kleinen Spielraum des Lebens beschränkt, erfahren wir, die wir zum Trösten kamen, selbst Trost. Erfahren wir, die wir mit bangen Fragen das Schwere und Unausweichliche begleiten, Antworten und Zuversicht. Da sagt mir die alte Frau, die seit Monaten ans Bett gefesselt ist: „Ich bin zufrieden.“ Hat sie ihren Frieden gemacht oder lebt sie vielleicht in dem Zusammenhang, den Paulus herstellt: „Denn unsre Bedrängnis, die zeitlich und leicht ist, schafft eine ewige und über alle Maßen gewichtige Herrlichkeit,“ [2. Kor 4,17]

Kann man das wissen? Nein, das muss man glauben, darauf muss man sich verlassen, wenn es für einen gelten soll. Von Herrlichkeit kann bei uns – so oder so – keine Rede sein. Die Herrlichkeit ist Gott vorbehalten. Alle menschliche Nachahmung kann bestenfalls einen blassen Schimmer davon erzeugen. Das heißt dann aber, dass die Prüfungen, die Bedrängnisse unseres Lebens als Christen, sie sind zeitlich und begrenzt, uns teilhaben lassen an etwas fast unvorstellbar Großem, an Gottes Herrlichkeit, die ewig ist. Offensichtlich ist sie nicht, diese „über alle Maßen gewichtige Herrlichkeit“ [ebd.] aber sie blüht uns, „die wir nicht sehen auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare. Denn was sichtbar ist, das ist zeitlich; was aber unsichtbar ist, das ist ewig.“ [2. Kor 4,18]

Das hat uns schon die Geschichte von Thomas, dem Jünger Jesu, gelehrt. Er will sehen und begreifen. Das aber verhaftet uns im Vorläufigen und Endlichen. Nur das vermöchten wir zu sehen und zu begreifen. Was aber darüber hinausgeht, das Geheimnis des Glaubens, erfordert unser tiefes Vertrauen in Gottes Barmherzigkeit und Liebe. Wann sie offenbar wird, mag uns fraglich sein. Dass sie offenbar wird mit aller Macht und Wirksamkeit, zeigt sich an Jesu Weg durch Tod und Auferstehung hindurch zum neuen Leben.

Paulus, der sich selbst darauf verlässt, bleibt nicht Opfer, sooft er auch geschlagen, beschimpft oder in Haft genommen wird. Sein Glaube erfüllt ihn so sehr, dass kein Platz bleibt für Jammern oder Resignation. Er wird ein begabter Geber der Hoffnung. Er verkörpert die Verheißung des auferweckten Gekreuzigten. 

Wenn er jubelt – „Jubilate!“ – spürt er noch die Schläge und die Ketten der Gefangenschaft. Wenn wir es – und sei es zaghaft – ihm nachtun in dankbarer Freude, weil ein Kind geboren, eine gute Lösung für ein schwieriges Problem gefunden oder eine Last von uns genommen wurde, dann wissen wir immer noch, dass damit die Zeit der Bedrängnisse nicht vorüber ist. Aber dieser Jubel von Ostern hallt in unseren Herzen nach und ermutigt uns, er hallt endlich unendlich hoffnungsvoll nach.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.