2. Sonntag nach Epiphanias
Text: Hebr 12,12–18(19–21)22–25a
Thema: Glaube hilft
Ev. Emmausgemeinde Eppstein
Pfarrer Moritz Mittag
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.
Den Predigttext zum heutigen 2. Sonntag nach Epiphanias lesen wir im Brief an die Hebräer, im 12. Kapitel:
Hebr 12,12–18(19–21)22–25a26
12 Darum stärkt die müden Hände und die wankenden Knie 13 und tut sichere Schritte mit euren Füßen, dass nicht jemand strauchle wie ein Lahmer, sondern vielmehr gesund werde. 14 Jagt dem Frieden nach mit jedermann und der Heiligung, ohne die niemand den Herrn sehen wird, 15 und seht darauf, dass nicht jemand Gottes Gnade versäume; dass nicht etwa eine bittere Wurzel aufwachse und Unfrieden anrichte und viele durch sie verunreinigt werden; 16 dass nicht jemand sei ein Hurer oder Gottloser wie Esau, der um der einen Speise willen sein Erstgeburtsrecht verkaufte. 17 Ihr wisst ja, dass er hernach, als er den Segen ererben wollte, verworfen wurde, denn er fand keinen Raum zur Buße, obwohl er sie mit Tränen suchte. 18 Denn ihr seid nicht zu etwas gekommen, das man anrühren konnte und das mit Feuer brannte, nicht zu Dunkelheit und Finsternis und Ungewitter
„Müde bin ich, geh zur Ruh“, beim Sprechen des Gute-Nacht-Gebets war dem Kind klar, jetzt ist der Tag zu Ende. Jetzt ist es gut. Jetzt wird geschlafen. Wo in Kinderzeiten vielleicht gelegentlich noch der Widerspruch aufkommen konnte, „ich bin doch gar nicht müde“, da wäre mancher heute froh, wenn er so beten und leben könnte. „Müde bin ich, geh zur Ruh“.
Die Leute sind müde. Die Leute, die im Brief an die Hebräer angesprochen werden. Sie sind Christen, Mitglieder einer Gemeinde. Viele nehmen an, bei ihnen handele es sich um Christen, die zuvor Juden gewesen waren, so genannte „Judenchristen“. Der Wind bläst ihnen ins Gesicht. Mal trifft sie beißender Spott, mal ist es spürbare Gegnerschaft. Einmal aufgebrochen als Gemeinde Jesu Christi geht die Schar von Jahr zu Jahr. Hat sie ein Ziel? Fragte man die Leute, würden sie vermutlich sagen: „Ja, unser Ziel ist die neue Welt, die Gottes Gerechtigkeit offenbaren wird.“ Schön gesagt, wenn nur die Plagen des Alltags nicht wären. Da müssen sie sich oft verstecken, darauf achten nicht aufzufallen. Da sehen sie sich in nicht enden wollende Debatten hineingezogen, ob dies oder das zu glauben wäre oder nicht doch alles dagegenspräche. Da kümmert sie jede und jeder, der ihre Gemeinschaft verlässt – gelangweilt oder aufgebraucht, enttäuscht oder resigniert. Wenn doch nur nicht auch noch die Nickligkeiten untereinander dazukämen und die Sorge, wie es um Himmels willen weitergehen soll. Ja, die Leute sind müde.
Aus ganz anderen Gründen sind solche Zustände uns auch vertraut. Ich denke an die jungen Eltern, die keine Nacht durchschlafen, weil alle zwei Stunden die Jüngste hungrig kräht. Oder die Nachtwache, die allein für viele Patienten sorgt, während alle anderen schlafen, und nicht sicher sein kann, dass sie am Tag die nötige Ruhe finden wird. Oder die Menschen, zu deren herausragender Stellung es gehört, dass Tag und Nacht ein Klingelton ihnen ein „Hab‘ acht!“ zuruft. Oder all jene, die jeden Tag zuverlässig ihrer Arbeit nachgehen und sich dann genötigt sehen, jeden Schritt, jede Maßnahme gerichtsfest zu dokumentieren. Als ob das wichtiger wäre als ihre „eigentliche“ Arbeit.
Oft bekommen sie zu hören, sie sollten auch an sich denken, sollten „sieben mal gerade sein lassen“, sich eine Auszeit nehmen oder so ähnlich. Kann sein, dass wir selbst schon solche Tipps gegeben haben. Dabei fällt es uns doch auch nicht leicht für uns selbst zu sorgen. Was will man machen?
Für alle, die so unterwegs sind wie die Hebräer, kommt all das nicht in Frage. Es geht weiter. Heute und morgen früh. Im Falle der Hebräer kommt es geradezu darauf an, dass sie durchhalten, dass sie sich um jene bemühen, die mit ihrem Tempo nicht schritthalten. Und wenn sie miteinander standhalten wollen, werden sie sich immer neu vergewissern müssen, dass sie Kurs halten. Sonst werden sie vom Lauf der Dinge verschluckt, gehen unter in den allzeit wirkenden Irrungen und Wirrungen der Geschichte. Wie aber soll das gelingen? Wie soll das gelingen bei den Familien, die Tag für Tag und Nacht für Nacht in der U-Bahn von Charkiw Zuflucht suchen müssen? Wie soll das vor sich gehen bei all jenen, deren Sehnsucht nach Frieden an der Gewalt zerschellt? Die das, was sie erleben und sehen müssen, zittern und zagen lässt?
Die Hebräer lesen im Brief: „Darum stärkt die müden Hände und die wankenden Knie“ [Hebr 12,12]. Wörtlich übersetzt müsste man sagen: „versetzt die müden Hände und die wankenden Knie wieder in den ursprünglichen Zustand“. Der Orthopäde, der das zuwege brächte, könnte sich vor Patienten nicht retten. Aber was soll das heißen im Zusammenhang des Briefes, in dem kurz zuvor vom Glauben die Rede war?
Ist der zittrig geworden und unsicher, dass man Sorge haben muss, „dass nicht jemand strauchle wie ein Lahmer, sondern vielmehr gesund werde“ [Hebr 12,13]? Ja, dem Glauben kann es so ergehen. Uns ist klar, das wankende Knie sorgt für erhebliche Verunsicherung. Damit kommt einiges außer Reichweite. Gilt dasselbe für den Glauben, der schütter geworden ist und unbelastbar?
Das Knie werden wir tunlichst schonen, damit es wieder in die Reihe kommt. Die Physiotherapie hat noch mehr auf Lager. Was aber ist mit dem wankenden Glauben? Wie findet er wieder zur alten Form?
Was zeichnet diesen Glauben aus, so wie er ursprünglich war? Im Brief heißt es: „Es ist aber der Glaube eine feste Zuversicht dessen, was man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht.“ [Hebr 11,1]
Würde uns das helfen? Eine feste Zuversicht – angesichts einer Welt, die irgendwie aus den Fugen zu geraten scheint. Eine Welt, in der es möglich ist, die eigene Geschichte zu vergessen oder zu leugnen, eine Geschichte, die uns Warnung sein müsste, zu was Menschenverachtung führt. Eine feste Zuversicht – angesichts der Bedrohungen durch Krieg und Gewalt, durch rücksichtsloses Verfolgen eigener Interessen, durch drohenden Bedeutungsverlust. Eine feste Zuversicht, wir doch in eine höchst ungewisse Zukunft schauen. Wie soll das zugehen?
Wenn wir diese Zuversicht durch uns selbst begründen wollten, sähe ich schwarz. Wächst sie jedoch aus dem lebendigen Glauben, dass Gott der Herr ist und er an unserer Seite ist, bekommt die Zuversicht eine ganz andere Tragfähigkeit. Sie verändert die Statik unseres Lebenshauses, das dann und wann hörbar arbeitet und ächzt. Denn diese Zuversicht trägt weiter, als wir sehen können.
Im Glauben können wir uns darauf verlassen, dass Gott unsere Zukunft ist. Sehen können wir das nicht, uns darauf verlassen schon. Und wieder ändert das alles. Es entlässt uns aus der Frohn, für alles selbst sorgen zu müssen. Wo wir doch längst erkennen, dass wir an dieser Aufgabe scheitern müssen. So aber folgen wir im Glauben, also in jenem zuversichtlichen Nichtzweifeln, der Spur Jesu Christi. Auf seiner Spur unterwegs sind wir richtig. Uns ihrer zu vergewissern, halten wir Gemeinschaft in den Familien, in Gruppen und Kreisen und in unseren Gottesdiensten. Und manchmal spüren wir es direkt, dass wir das brauchen und es uns guttut. Dann weichen unsere Müdigkeit und unser Wanken. Wir stützen und unterstützen einander. Der Schritt wird fest, und wir gehen gestärkt voran in die Zukunft.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.