Ostermontag
Text: Lk 24,13-35
Thema: Unterwegs
Ev. Emmausgemeinde Eppstein
Pfarrer Moritz Mittag

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Wer von Mödlareuth-Süd im Landkreis Hof über den Thannbach nach Mödlareuth-Nord gehen wollte, konnte das seit dem Jahr 1952 bis 1989 nicht mehr. Die innerdeutsche Grenze lag dazwischen. Sie zerschnitt das Land. Wer heute mit dem Wagen durch Israel fährt, begegnet immer wieder ausgedehnten Sperranlagen, die die Palästinensergebiete von den Gebieten trennen, die von Israelis bewohnt werden. Als wir sie zu sehen bekommen, wecken sie in uns ungute Erinnerungen, so unterschiedlich die Gründe auch sind, die zur Errichtung geführt haben.

Wer weiß, wie die Geschichte verlaufen wäre, hätte es solche Sperren schon zur Zeit Jesu gegeben – etwa zwischen Galiläa und Samaria und Samaria und Judäa. So aber wandert Jesus davon unbehelligt mit seinen Jüngern im Gebiet des See Genezareth und dann auch nach Jerusalem. Wege gehören fast täglich zu ihrem Pensum. Wege sind für sie auch Kommunikationsmittel. Ohne Wege keine Waren und keine Nachrichten. Und längst bevor Jesus Jerusalem erreicht, ist ihm sein Ruf vorausgeeilt. Das erklärt den Enthusiasmus der einen, die ihn dort überschwänglich begrüßen und die Skepis derer, die in ihm einen Aufrührer oder Hochstapler erkennen.

In den letzten Tagen haben wir den Weg Jesu ans Kreuz nachvollzogen. Wieder Wege. Vom Garten Gethsemane am Bach Kidron hinauf in die Stadt und später hinaus nach Golgatha. Dorthin, nicht erst dorthin, trägt Jesus sein Kreuz. Heutige Pilger folgen dem Weg von der Verurteilung zur Hinrichtung auf der Via Dolorosa. Jeder Schritt wiegt. Bei den einen sorgen Schritte dafür, dem Unheil zu entkommen. Für die meisten seiner Anhänger wird das gelten. Bei Jesus geht es Schritt für Schritt dem Tod entgegen. Gelegenheiten zu entkommen, hätte es gegeben. Er hat sie nicht wahrgenommen, ist sehenden Auges in sein Verderben gegangen.

Zu denen, die das Weite und damit ein Entkommen gesucht haben, gehören die beiden Emmausjünger. Sie zählen zu denen, die enttäuscht und zerknirscht das Ende ihrer Hoffnung registriert haben. Wir können uns denken, dass sie aufmerksam und mit Anteilnahme Jesu Wirken verfolgt hatten. Der Mann macht Mut. Das haben auch sie bemerkt. Umso mehr trifft sie dieses bittere Ende. Es enttäuscht. Denn mit Jesu Tod, zerbricht ihre Hoffnung und stirbt ihr Glaube. Sie wenden sich ab. Was sollen sie auch noch in Jerusalem, mal abgesehen davon, dass sie Gefahr laufen, Jesu Schicksal zu teilen, wenn man sie als seine Anhänger identifiziert. Haben sie eine Wahl? So wie „Geld oder Leben“ oder „Süßes oder Saures“? Eher nicht.

Nun also gehen sie, vielleicht eilen sie auch, von den Höhen Jerusalems hinunter gen Westen. Nur weg. Enttäuschte, die sich nichts davon versprechen, an der Gemeinschaft festzuhalten, zu der sie bis vor kurzem noch gehörten. Gehört nicht die Zukunft denen, die rechtzeitig loslassen und sich auf’s Neue ausrichten? Alles Vergangene ist Ballast – oder etwa nicht?

Zwar führt jeder Schritt die beiden weiter weg von Jesus und seinem Kreuz, aber das bedeutet nicht, dass sie sein Schicksal nicht beschäftigte, ja, aufwühlte. Sein Tod lässt sie trauern. Denn in ihm ist etwas zu Ende gegangen, was zu ihrem Leben gehörte, was sie erfüllte und ihnen eine Richtung gegeben hatte. Nicht, dass sie Muster-Jünger gewesen wären. Vielleicht wissen wir auch darum nur den Namen des einen: Kleopas. Aber unterwegs geht er ihnen nicht aus dem Kopf und bestimmt ihr Gespräch.

Wenn wir heute Nachmittag einen kleinen Spaziergang zum Kreuz in der Ackerflur „Obere Beune“ machen, nehmen wir unsere Gedanken mit. Sorgen sind wahrscheinlich auch dabei. Vielleicht tut es uns gut, im Gespräch die eine oder andere mit jemandem zu teilen. So ist unsere Erfahrung mit der Gruppe „Schritte im Leben“. Miteinander Schritte tun und Gedanken auszutauschen, das ist ein hilfreicher Beitrag zur Trauerarbeit. Anfang 2004 sprach ich meine katholische Kollegin an: „Wollen wir ein Angebot der Trauerarbeit machen, das die Betroffenen in Bewegung versetzt?“ So kam’s – und seitdem wurde eine große und lebendige Gruppe daraus. Sie folgt in gewisser Weise dem Beispiel der Emmaus-Jünger. Freilich – nicht immer begleitet sie ein „dritter Mann“.

Der gesellt sich bekanntlich zu den beiden, die von Jerusalem weggegangen sind und dabei im Gespräch dem Erlebten, Erhofften und Enttäuschten nachgehen. Lange hört er zu. Lange bleibt er den beiden ein Unbekannter – oder soll ich sagen, ein Unerkannter.

Als dieser sie fragt, wovon sie sprechen, bleiben sie traurig stehen. So sehr sie sich auch entfernt haben, so sehr sind ihre Gedanken und Erinnerungen doch mit Jesus verbunden. Nur, dass der Unbekannte ausgerechnet Jesus sein soll, das bemerken sie nicht. Liegt’s daran, dass dessen Äußeres sich so stark verändert hat? Oder daran, dass für die beiden nicht sein kann, was nicht sein darf? So was gibt’s doch nicht! Oder sind sie so mit sich und ihren Gefühlen und Gedanken beschäftigt, dass sie mehr nicht wahrnehmen können?

Heute würde man in diesem geduldigen Zuhörer vielleicht einen Seelsorger erkennen, der weiß, welch heilende Kraft das Erzählen und in Worte fassen besitzt. Worte und Grammatik schaffen eine Ordnung, wo die doch zeitweise außer Kraft gesetzt und einem inneren Tumult gewichen ist. Zudem bekommt das Ausgesprochene sein Maß: So groß und nicht größer, so schwer und nicht schwerer.

Die beiden erzählen ihm „das mit Jesus von Nazareth“ [Lk 24,19] und von ihrer Hoffnung, wobei dabei auch ihre Enttäuschung mitschwingt: Er ist wohl doch nicht der, der „Israel erlösen werde“ [Lk 24,21]. Auch von den Frauen, die vom leeren Grab berichtet hatten, wissen sie.

Jetzt fällt ihnen der andere ins Wort und ordnet die Geschichte, wie das einer macht, der sich auskennt nicht zuletzt mit der großen Tradition Israels. Darüber geht die Zeit dahin. Es wird Abend. Die Füße schmerzen, die Beine werden schwer. Die beiden wollen ein Quartier suchen, der andere will erst überredet werden auch zu bleiben. Binnen weniger Minuten ist die Sonne untergegangen. Gut, dass sie ein Quartier gefunden und bald auch zu essen haben.

Das gemeinsame Essen verbindet. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Hier kommt der Einzelne mit anderen in Gemeinschaft zusammen. Jede Gemeinschaft hat ihre Üblichkeiten – auch beim Essen. Nicht nur im Was auch im Wie. „Und es geschah, als er mit ihnen zu Tisch saß, nahm er das Brot, dankte, brach’s und gab’s ihnen.“ [Lk 24,30]

Jetzt fällt es ihnen wie Schuppen von den Augen. „Er ist’s!“ Kaum haben sie das verstanden – „und er verschwand vor ihnen“ [Lk 24,31]. Begegnen kann man IHM, besitzen kann man ihn nicht. Und – um ihm zu begegnen, braucht es eine Gemeinschaft, die sich seiner erinnert – und sei es, dass sie sich dabei gleichzeitig von ihm entfernen will.

Daran erinnern sich die beiden, Kleopas und sein Begleiter, und sie kehren um nach Jerusalem und suchen die anderen auf, die sie begrüßen: „Der Herr ist wahrhaftig auferstanden!“ [Lk 24,34] Und das können sie bestätigen, denn sie haben mit IHM zu Tisch gesessen und das Brot gebrochen.

Als wir Haus und Gemeinde einen Namen geben wollten, das war am 27. November 1995, der zugleich Programm ist, haben wir nach einiger Diskussion den Namen des Ortes gewählt, an dem die Enttäuschten Jesus begegnen, umkehren und die Gemeinschaft derer suchen, die sich zu Jesus bekennen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.