Kantate
Text: 1. Sam 16,14–23
Thema: Heilende Klänge
Ev. Emmausgemeinde Eppstein
Pfarrer Moritz Mittag

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

„Wes Geistes Kind bist du?“ Am Hofe des ersten Königs in Israel wird die Frage allerhöchstens getuschelt. Anfangs ging alles gut. Der Mann hatte Fortune. Er sah gut aus, war von stattlicher Figur, ist „um eine Haupteslänge größer als alles Volk“ [1. Sam 9,2] und offensichtlich als Anführer geeignet. So einen hatte Samuel für das Volk gesucht. Das mochte auch einen König, wie die anderen Völker ringsum, und es brauchte einen Anführer im Kampf gegen die oft überlegenen Philister. Die siedeln unten entlang der Küste, während die Israeliten das Bergland bewohnen. Samuel handelt nach dem Bericht der Bibel im Auftrag des Herrn. Der beruft ihn zum Königsmacher. In Saul erkennt Samuel den Auserwählten. „Da nahm Samuel den Krug mit Öl und goss es auf sein Haupt und küsste ihn und sprach: Siehe, der Herr hat dich zum Fürsten über sein Erbteil gesalbt.“ [1. Sam 10,1] Die Salbung ist das Zeichen dieser Berufung zum König von Gottes Gnaden.

Gestern in Westminster Abbey war die Salbung ein Schlüsselmoment der Krönungszeremonie von Charles III.. Persönlich und den Blicken der anderen entzogen. Die vielen Insignien, die dem König überreicht wurden, angefangen von der Bibel bis zum Zepter mit dem Kreuz, weisen seinen Träger als von Gott berufen aus. Dass sein Geist den König leiten möge, kommt in Gebeten und Handlungen zum Ausdruck.

Allerlei Schwerter werden Charles III. überreicht. Denn auch er soll bereit sein, sein Volk zu schützen und zu verteidigen. Und doch besteht seine heutige Aufgabe und die der Krone vor allem darin, als das einigende Band einer pluralen Gesellschaft zu wirken, in der uralte Traditionen und ein allervielfältigstes Weltbürgertum zusammenkommen.

Anfangs hat Saul Erfolg. Steigt der ihm zu Kopf oder handelt er nur unbedacht. Jedenfalls geht er eigene Wege, bei denen er nicht danach fragt, ob sie Gottes Willen entsprechen. Kaum hat er sich so verhalten, verlässt ihn das Glück. Es kommt, wie es kommen muss. Der Herr spricht zu Samuel: „Es reut mich, dass ich Saul zum König gemacht habe; denn er hat sich von mir abgewandt und meine Befehle nicht erfüllt.“ [1. Sam 15,11] Aufmerksame Beobachter erkennen, was los ist. „Der Geist des Herrn aber wich von Saul, und ein böser Geist vom Herrn verstörte ihn.“ [1. Sam 16,14] Das ist die Stunde der Berater. Deren Möglichkeiten sind allerdings begrenzt. Sie stellen fest: „Siehe, ein böser Geist von Gott verstört dich.“ [1. Sam 16,15] Der König wirkt niedergeschlagen, ja, depressiv. Was kann man da machen? Die Berater empfehlen: „Unser Herr befehle nun seinen Knechten, die vor ihm stehen, dass sie einen Mann suchen, der auf der Harfe gut spielen kann, damit, wenn der böse Geist Gottes über dich kommt, er mit seiner Hand darauf spiele, und es besser mit dir werde.“ [1. Sam 16,16]

Musiktherapie! Warum nicht? Die Macht der Klänge und des Gesangs ist groß. Freilich Sirenenklänge oder Loreleys Lied können ins Verderben führen. Gesänge vermögen andererseits Herzen und Seelen gen Himmel zu begleiten, aber auch Soldaten und Revolutionären den Rücken zu stärken. Im Sommer 1988 kamen Hunderttausende zu einem Sängerfest ins estnische Tallinn, um für Einigkeit und Unabhängigkeit zu demonstrieren. Und sie haben Erfolg damit.

„Da sprach Saul zu seinen Knechten: Seht nach einem Mann, der des Saitenspiels kundig ist, und bringt ihn zu mir.“ [1. Sam 16,17]

Ist das etwa ein frühes Zeugnis zur Entstehung der Hofmusik? Kaum ein Fürstenhof, der darauf verzichtete. Oft mag es dabei um Unterhaltung gehen, hier nicht. Hier ist jemand aus der Balance geraten und sucht sie in den Klängen.

Die Bürde der Verantwortung wiegt schwer, schwerer noch als die alte Krone, die man Charles III. auf’s Haupt setzt.

Auch gestern konnte man eine Sternstunde des Gesangs und der Musik erleben. Mehr als tausend Worte entfaltete der Gesang seine Wirkung. Auch sie wird den Geist Gottes erflehen – vielleicht, weil das Amt größer ist als der Mensch und die Last schwerer als das, was er zu tragen vermag.

Zum Glück erinnert einer am Hofe des Saulus so einen, wie er nun gesucht wird. „Da antwortete einer der jungen Männer und sprach: Ich habe gesehen einen Sohn Isais, des Bethlehemiters, der ist des Saitenspiels kundig, ein tapferer Mann und tüchtig zum Kampf, verständig in seinen Reden und schön, und der Herr ist mit ihm.“ [1. Sam 16,18] Ein Multitalent mit vielen Vorzügen. Das Beste nennt der junge Berater zum Schluss: „und der Herr ist mit ihm“ [ebd.], will sagen, mit dem kannst Du nichts falsch machen.

Was soll man mit Saitenspiel und Gesang, was soll man mit Musik schon falsch machen können? Gut, danebengreifen, den Ton nicht treffen. Nein, schlimmer, auch für die Musik gilt auf geheimnisvolle Weise, es kommt darauf an, wes Geistes Kind sie ist. Auch Musik oder Musiker können Teil des Unrechts oder gar Teil der Gotteslästerung werden. Und ob sie das sind oder werden, das macht den Unterschied. Bis heute. Warum sonst würde um den Auftritt einer Operndiva gestritten, an deren Gesinnung Zweifel aufgekommen sind? Und was wird ein Furtwängler empfunden haben, wenn er vor den NS-Größen musizierte, womöglich zu deren Ermunterung und Erhebung?

Für Saul ist nun erst einmal Hilfe gefunden. „Da sandte Saul Boten zu Isai und ließ ihm sagen: Sende deinen Sohn David zu mir, der bei den Schafen ist. Da nahm Isai einen Esel und Brot und einen Schlauch Wein und ein Ziegenböcklein und sandte es Saul durch seinen Sohn David. So kam David zu Saul und diente ihm.“ [1. Sam 16,19-21]

Weiß er, dass der jüngste Sohn des Isai längst ein Erwählter ist? Weiß er, dass Samuel auch ihn, David, im Verborgenen nur in Anwesenheit seiner Brüder, gesalbt hat? Und dass der Geist des Herrn nun auf ihm ruhte? Nein, das weiß Saul nicht. Er ahnt es nicht einmal. Jetzt genießt er den Wohlklang des Saitenspiels und des Gesangs. Alle seine Not wird darin aufgehoben: „Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal, fürchte ich kein Unglück… [Ps 23,4] Er fühlt sich getragen und im Geist wie erfrischt. „Und Saul gewann ihn sehr lieb, und er wurde sein Waffenträger. Und Saul sandte zu Isai und ließ ihm sagen: Lass David mir dienen, denn er hat Gnade gefunden vor meinen Augen. [1. Sam 16,21f.]

Und David singt. Er singt so gut, dass er einst als musizierender König in die Geschichte eingeht. Übrigens nicht der einzige Herrscher, für den das gilt. Die Liste der komponierenden Monarchen reicht von Nero, über Heinrich VIII., Moritz Landgraf von Hessen, Friedrich den Großen bis zu Ludwig IX., Landgraf zu Hessen-Darmstadt, den man ob der sagenhaften 92.000 Militärmärsche aus seiner Feder auch als „des „Heiligen Römischen Reiches Erz-Tambour“ bezeichnete.[ https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_komponierender_Herrscher ]

„Wenn nun der Geist Gottes über Saul kam, nahm David die Harfe und spielte darauf mit seiner Hand. So erquickte sich Saul, und es ward besser mit ihm, und der böse Geist wich von ihm.“ [1. Sam 16,23] 

Manchmal erleben wir das selbst. Die Musik, die Klänge, der Gesang, das Lied führt uns mit sich fort, führt uns heraus aus der Enge des Herzens, aus der Mutlosigkeit oder Traurigkeit. Mal, indem sie das Gefühl aufzunehmen weiß, mal indem sie dem Dunkel etwas Lichtes entgegenzusetzen vermag. Und wenn wir im Gottesdienst singen, am besten kompetent und mit Herzblut begleitet, erhebt es auch uns und wer weiß, vielleicht auch die, die zufällig vorübergehen und sich im Gesang der anderen wiederfinden oder vergewissern können.

Musik und Gesang können eine heilende Wirkung entfalten. Drum lasst uns der Aufforderung des heutigen Sonntags Folge leisten: Cantate! Singt!

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.