Drittletzter Sonntag des Kirchenjahres

Text: Lk 17,20–24
Thema: Zwischen schon und noch nicht
Ev. Emmausgemeinde Eppstein
Pfarrer Moritz Mittag

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Einer hat etwas gesagt. Und der Eine ist kein Unbekannter. „Was hat er denn gesagt?“ hört man die fragen, die nicht dabei gewesen waren, als der Eine etwas gesagt hatte. Die Antwort auf die Frage, klingt bei denen, die dabei gewesen waren, erstaunlich unterschiedlich. Die einen sagen so, die anderen so. Wer weiß, wie der Originalton sich anhörte? Am Ende ist es so wie bei der „Stillen Post“, wo einer dem anderen ins Ohr flüstert, was er meint, zuvor verstanden zu haben. Manchmal ist die Verwunderung groß, wenn die Letzte in der Reihe kundtut, was bei ihr angekommen ist.

Also, wie war es nochmal, als der eine etwas gesagt hat. Und überhaupt – wie hat er das gemeint? Oder wie könnte er es gemeint haben? Je weiter entfernt die Rätselnden vom Ursprungsgeschehen sind, desto vielfältiger und kreativer werden die Deutungen.

In Runden mit Journalisten, Politikern und Experten aller Art werden solche Fragen behandelt. Vermutungen, Deutungen, Herleitungen werden ausgetauscht. Und warum? Weil einer etwas gesagt hatte.

Unser Einer ist Jesus. Wir sehen ihn – wieder einmal im Gespräch mit den Pharisäern. Sie wollen wissen, womit sie bei ihm dran sind. Auf unterschiedliche Weise versuchen sie, ihm Aussagen zu entlocken, die erkennbar werden lassen, wie er, Jesus, sich selbst versteht. Heute fragen sie: „Wann kommt das Reich Gottes?“ [Lk 17,20]

Kann das unsere Frage werden? Was hat es mit diesem Reich Gottes auf sich? Viele haben den Bezug zu Gott verloren, was juckt sie das Reich Gottes? Im Übrigen, so redet doch kein Mensch mehr.

Jetzt gehe ich ans Deuten, weil ich nach der Bedeutung frage, die die Rede vom „Reich Gottes“ für uns haben könnte. Ich sehe diese Pharisäer und ihre Zeitgenossen in einer lähmenden Befindlichkeit. Das Land ist besetzt. Auch die Schaltstellen, von denen aus wesentliches zu bewirken wäre, sind durch die Besatzer besetzt. Es sieht nicht so aus, als würde sich das in Kürze ändern.

Ich sehe junge Leute in vielen armen Ländern der Welt, die, selbst wenn sie wollen, keine Arbeit und kein Auskommen haben. Ich sehe im Iran Tausende, die, obwohl gut ausgebildet, ohne Chance sind. Dafür wächst die Sehnsucht, dass etwas geschieht, was diese Blockade aufbricht und Raum für Veränderungen schafft.

Ich sehe in den Vereinigten Staaten eine große gesellschaftliche Gruppe, die ein Gefühl eint: Wir sind abgehängt. Sei es, weil wir auf dem Lande wohnen, sei es, weil die Arbeitgeber, die einst Lohn und Brot gaben, nicht mehr existieren. Jeder Politik, die wie eine Fortsetzung des Bisherigen wirkt, begegnen sie mit unversöhnlicher Feindschaft. „Da muss mal einer kommen, der den ganzen Laden durchkehrt“, sagen sie. Auch hierzulande kennt man solche Stimmen. Und das, obwohl wir besondere Erfahrungen haben mit so einem, der in grenzenloser Anmaßung ein ganzes Land, ein ganzes Volk ins Elend führt.

Hier, bei den Pharisäern, liegt die Hoffnung aber gerade nicht bei einem, der aus ihrer Mitte käme. Kein Mensch wie Du und ich. Der Messias, das ist für sie, eine Lichtgestalt, in der Gott selbst zu den Menschen kommt. Und wer bitte schön, der hier etwas zu sagen hat, wird von sich behaupten können, er sei derjenige, in dem Gott zu den Menschen komme? Wenn Gott kommt, das wird man dann doch wohl bemerken müssen!

Jesus antwortet: „Das Reich Gottes kommt nicht mit äußeren Zeichen“ [Lk17,20]. Auch die professionellen Zeichendeuter, in unsren Tagen vielleicht die Demoskopen, Wirtschaftsweisen oder Prognostiker, sind nicht berufen, sein Kommen zu bemerken. „Man wird auch nicht sagen: Siehe, hier!, oder: Da!“ [Lk 17,21] Kein Kaffeesatz, kein Vogelflug wird’s ankündigen, ja, es steht noch nicht mal in den Sternen. Liebe Pharisäer, seid Euch mal nicht so sicher, dass Ihr beurteilen könnt, ob, wann, wie oder dass das Reich Gottes kommt.

Man könnte meinen, jetzt dreht Jesus sich auf dem Absatz um und spricht zu seinen Jüngern. „Es wird die Zeit kommen, in der ihr begehren werdet, zu sehen einen der Tage des Menschensohns, und werdet ihn nicht sehen.“ [Lk 17,22] Etwas direkter gesagt, bedeutet das, „Ihr werdet auch nicht mehr wissen als die anderen.“ Aber Deutungen, Vermutungen und Herleitungen wird es en masse geben. „Und sie werden zu euch sagen: Siehe, da!, oder: Siehe, hier!“ [Lk 17,23] In der großen Erwartung, gewiss durch große Not befördert, wenn Eure Sehnsucht ins Unermessliche gewachsen ist, dass jetzt endlich etwas geschieht, was alles Unheil wendet: „Geht nicht hin und lauft nicht hinterher!“ [Lk 17,23] Das sind klare Ansagen. Auch für uns. Ja, wir wollen nicht kopflos werden, und wie die Hühner hin und her laufen. Nicht angesichts der politischen und gesellschaftlichen Herausforderungen und auch nicht in Anbetracht unserer Zukunft als Christen in dem Land, in unserer Kirche und in dieser Gemeinde.

Die Zukunft, die Gott mit seinem Reich eröffnet, ist offen, mehr noch, sie steht uns offen. Es ist auch an uns, wie und wohin wir uns angesichts dieser Zukunft bewegen. Jesus ermuntert in der Antwort an die Pharisäer auch uns, wenn er sagt: „Sehet, das Reich Gottes ist mitten unter euch“ [Lk 17,21] Ich sehe die Pharisäer die Köpfe zusammenstecken: „Meint er sich selbst? Dass er das Reich Gottes repräsentiert?“ „So eine Anmaßung!“ Andere werden entgegnen: „Nein, das Reich Gottes nimmt Gestalt an, wo Menschen so leben, wie Gott es will.“ „Gibt Jesus nicht genau dafür ein Beispiel?“ Und wir hier? Gibt es solche Momente, in denen uns das Leben gelingt, wie Gott es will? Momente, in denen wir uns öffnen können, vielleicht auch ohne Anspruch, dafür empfangend, wie ein Gefäß, nicht bestimmend, sondern folgend dem lauten oder leisen Ruf des lebendigen Wortes Gottes.

Und dann nimmt Jesus eine fernere Zukunft in den Blick. Dabei verwendet er einen Titel, der sich mit dem Einen verbindet, der der Sohn Gottes ist. In der dritten Person spricht er von dem Menschensohn, der kommen wird. Und wie? „Wie der Blitz aufblitzt und leuchtet von einem Ende des Himmels bis zum andern, so wird der Menschensohn an seinem Tage sein.“ [Lk 17,24] Das wird am Ende der Zeit sein, „an seinem Tage.“ Dass er es ist, zeigt sich daran, dass ihm möglich ist, was Gott allein vorbehalten ist: Überall gleichzeitig zu sein! Dafür steht das raum- und zeitfüllende Bild vom aufblitzenden Blitz, der „und leuchtet von einem Ende des Himmels bis zum andern“ [Lk 17,24].

Dann wird für alle offenbar, was bis dahin nur wenigen klar sein dürfte. Gott durchwirkt die ganze Erde, seine ganze Schöpfung, alles. Dann errichtet er sein Reich des Friedens, das er Israel seit jeher versprochen hat. Dann werden die Waffen schweigen und Gott wird abwischen alle Tränen. Wenn der Menschensohn wieder kommt.

Sie haben bemerkt, die beiden Antworten – „das Reich Gottes ist mitten unter euch“ [Lk 17,21] und „Wie der Blitz aufblitzt und leuchtet von einem Ende des Himmels bis zum andern, so wird der Menschensohn an seinem Tage sein.“ [Lk 17,24] – stehen in einer Spannung zueinander. Was denn nun? Jetzt oder dann? Oder sowohl jetzt als auch dann? Irgendwie und vor allem sind wir dazwischen. Zwischen schon und noch nicht, zugleich gerechtfertigt und immer noch Sünder – von Gott entfernt.

So sind wir in der Welt, so widersprüchlich, so hoffnungsvoll. Gerufen und geliebt von Gott.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.