9. Sonntag nach Trinitatis
Text: 1. Kg 3,5–15(16–28)
Thema: Gehorsames Herz
Ev. Emmausgemeinde Eppstein
Pfarrer Moritz Mittag
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.
Den Predigttext zum heutigen 9. Sonntag nach Trinitatis lesen wir im 1. Buch der Könige, im 3. Kapitel, die Verse 5-15:
1. Kön 3,5 Und der Herr erschien Salomo zu Gibeon im Traum des Nachts, und Gott sprach: Bitte, was ich dir geben soll! 6 Salomo sprach: Du hast an meinem Vater David, deinem Knecht, große Barmherzigkeit getan, wie er denn vor dir gewandelt ist in Wahrheit und Gerechtigkeit und mit aufrichtigem Herzen vor dir, und hast ihm auch die große Barmherzigkeit erwiesen und ihm einen Sohn gegeben, der auf seinem Thron sitzen sollte, wie es denn jetzt ist. 7 Nun, Herr, mein Gott, du hast deinen Knecht zum König gemacht an meines Vaters David statt. Ich aber bin noch jung, weiß weder aus noch ein. 8 Und dein Knecht steht mitten in deinem Volk, das du erwählt hast, einem Volk, so groß, dass es wegen seiner Menge niemand zählen noch berechnen kann. 9 So wollest du deinem Knecht ein gehorsames Herz geben, dass er dein Volk richten könne und verstehen, was gut und böse ist. Denn wer vermag dies dein mächtiges Volk zu richten? 10 Das gefiel dem Herrn, dass Salomo darum bat. 11 Und Gott sprach zu ihm: Weil du darum bittest und bittest weder um langes Leben noch um Reichtum noch um deiner Feinde Tod, sondern um Verstand, auf das Recht zu hören, 12 siehe, so tue ich nach deinen Worten. Siehe, ich gebe dir ein weises und verständiges Herz, sodass seinesgleichen vor dir nicht gewesen ist und nach dir nicht aufkommen wird. 13 Und dazu gebe ich dir, worum du nicht gebeten hast, nämlich Reichtum und Ehre, sodass deinesgleichen keiner unter den Königen ist zu deinen Zeiten. 14 Und wenn du in meinen Wegen wandeln wirst, dass du hältst meine Satzungen und Gebote, wie dein Vater David gewandelt ist, so will ich dir ein langes Leben geben. 15 Und als Salomo erwachte, siehe, da war es ein Traum. Und er kam nach Jerusalem und trat vor die Lade des Bundes des Herrn und opferte Brandopfer und Dankopfer und machte ein großes Festmahl für alle seine Großen.
Wir sind beeindruckt! So viel kluge Selbsteinschätzung! Solche Demut! So viel Weisheit! Gehörten wir zu den Misstrauischen, wir würden hinter dem Ganzen glatt eine gute PR-Abteilung vermuten. Das setzte aber voraus, dass der Text in der Zeit des Salomo entstanden wäre. Dem ist nicht so. Vielmehr handelt es sich um eine Nachbetrachtung, die der Leitfrage folgt: Wie konnte es zur Katastrophe des Babylonischen Exils (597-539 v.Chr.) kommen? Welche Rolle spielen die Könige? Und insbesondere: Wie sieht ihre jeweilige Beziehung zu Gott aus? Wir haben also eher ein Stück erzählter Theologie gehört und nicht ein Dokument der Geschichtsschreibung gelesen.
Wir lassen uns auf die Erzählung ein und folgen dem eben an die Macht gelangten König nach Gibeon. Dessen archäologischen Spuren haben sich im Laufe der Jahrhunderte weitgehend verloren. Zur Zeit Salomos – noch ist der Tempel nicht erbaut – mag es in Gibeon eine wichtige Kultstätte gegeben haben. Dort erscheint Gott dem schlafenden König im Traum. Die beiden sprechen miteinander. Gott fordert den jungen Monarchen auf: „Bitte, was ich dir geben soll!“ [1 Kg 3,5] Das sollte er mal zu uns sagen! Was wär’s, was wir von ihm erbitten würden? Ewige Jugend? Ein sorgenfreies Leben? Gesundheit? Besonders für den geliebten Menschen?
Salomo wählt anders. Auch anders als Gott erwartet hatte. Nicht langes Leben, nicht Reichtum und nicht das Verderben der Feinde. Er ordnet sich ein, beschreibt den verdienstvollen Vater und dessen Erfahrung von Gottes Barmherzigkeit. Ohne die säße auch er, Salomo, nicht auf dem Thron. Dann kommt ein Satz, der lässt mich innehalten: „Ich aber bin noch jung, weiß weder aus noch ein.“ [1. Kg 3,7] Das ist ehrlich. Ein starkes Stück für einen „Leader“, einen Anführer, der doch sonst kein Anzeichen von Schwäche zeigen darf. Im Traum ist’s möglich.
In der Aussage finde ich mich wieder und Sie sich vielleicht auch? Denn wohin ich auch sehe, alles ist schwierig. Wo ich hinschaue, erkenne ich Probleme. Die Bahn, die Brücken, die Krankenhäuser, das Klima, die Energie, die Pflege, die Preise, die Inflation, die Bildung – um nur einige zu nennen. Vom Krieg und der Konkurrenz der Großmächte ganz zu schweigen. „Ich weiß weder aus noch ein“, das könnte auch der Stoßseufzer des Kanzlers oder seines Kabinetts sein, selbst weite Teile der politischen Konkurrenz könnten sich hinter diesem Satz versammeln. Und wer weiß, wie oft wir selbst?!
Obendrein erkennt Salomo, was er alles nicht hat: Alter und Weisheit – er ist jung und unerfahren; Überblick, er hat nicht mal eine Ahnung, wie groß das Volk ist; und ihm selbst fehlt, was er als Richter bräuchte, ein Verständnis davon, was gut und was böse ist. [vgl. 1. Kg 3,9]
Angesichts dessen bittet Salomo um „ein gehorsames Herz.“ [ebd.] Wie kann das Herz gehorsam sein? Es soll schlagen und das im rechten Rhythmus! Ist das Herz nicht ein Muskel, der durch elektrische Impulse kontrahiert und entspannt?
Das „gehorsame Herz“ soll, so wünscht sich der König das, zwischen gut und böse unterscheiden können und ihn zu einem gerechten Richter machen. Nach dem Verständnis der hebräischen Welt ist das Herz weit mehr als die Pumpe. Es ist die Mitte der Person. Hier treffen sich Denken, Fühlen und Wollen. Hier wird das Innen nach außen und das Außen nach innen vermittelt. Hartmut Rosa spricht von einem „Resonanzraum“. Es ist im Alten Testament ein „Resonanz- und Beziehungsorgan“ [Bernd Janowski]. Darin begegnen sich Gott und Mensch. Nicht nur das, auch Gott hat ein Herz. Am häufigsten wird es als Organ seines klaren Willens betrachtet. Man kann sagen, das Herz ist die Mitte der alttestamentlichen Lehre vom Menschen.
Im Herzen, diesem „Resonanz- und Beziehungsorgan“ ereignen sich erkennen, verstehen und urteilen. Immer in Beziehung, nie in sich abgeschlossen oder zum andern hin verriegelt. Erkennen, verstehen und urteilen folgen dieser Voraussetzung. Sie gilt zwischen Dir und mir, zwischen Menschen unterschiedlicher Auffassung, konträrer Ansichten, zwischen Gott und Mensch. Mit dem Herzen finden wir uns im Leben zurecht.
Das „gehorsame Herz“ muss zuerst ein Herz sein, das zu hören vermag. Den Anderen wie auch den ganz Anderen, Gott. Es braucht die Vermittlung vom einen zum anderen. Erst recht, seit wir uns in Meinungsblasen bewegen und zunehmend unfähig werden zum wertschätzenden Austausch, und darin, die Sichtweisen des anderen zu verstehen und die eigenen zu vertreten. Die Andersdenkenden sind „Idioten“ oder „Volksverräter“, die „ihr Maul halten sollen.“ [zit. nach Hartmut Rosa: Demokratie braucht Religion. Kösel Verlag 2022, S. 43] So gelingt erkennen nicht, verstehen auch nicht, vom gerechten Urteilen ganz zu schweigen. So werden wir einander nicht gerecht.
Um es biblisch zu sagen, ohne das hörende und gehorsame Herz liegt kein Segen auf uns. Als Gott Salomos Bitte hört, erhört er sie gerne: „Siehe, ich gebe dir ein weises und verständiges Herz, sodass seinesgleichen vor dir nicht gewesen ist und nach dir nicht aufkommen wird.“ [1. Kg 3,12]
Und als wäre das nicht genug, fügt er an: „Und dazu gebe ich dir, worum du nicht gebeten hast, nämlich Reichtum und Ehre, sodass deinesgleichen keiner unter den Königen ist zu deinen Zeiten.“ [ebd. V. 13]
Will sagen: Aus dem „gehorsamen Herzen“, dem Herzen, das mit Gott in Beziehung bleibt, wird Gutes entstehen. Als Erinnerung daran, mag uns das Kreuzzeichen stehen, das wir auf unseren Leib zeichnen. Dort steht es für den Bezug zu dem dreieinigen Gott und für den Zusammenhang, in dem wir sind: Zwischen Himmel und Erde, Norden und Süden, Osten und Westen, und allen, die wie wir ein Herz in sich tragen. So feiern wir Abendmahl, als Gemeinschaft der Gläubigen in Beziehung zu Gott und der Welt.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.