Sexagesimae
Text: Mk 4,26–29
Thema: Gott sät und erntet
Ev. Emmausgemeinde Eppstein
Pfarrer Moritz Mittag
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.
Im Newsroom der Redaktion gehen minütlich neue Nachrichten ein. Sie schwirren herbei wie ein Insektenschwarm. Auf den bunten Oberflächen unserer Smartphones kommt nur eine Auswahl an und doch wischen wir dort das flimmernde und flackernde das Weltgeschehen beiseite. Die nächste Nachricht, der nächste Spot verlangt unsere Aufmerksamkeit. „Was ist dran?“ Diese einfache Frage zu stellen und die Antwort darauf zu ergründen, haben wir kaum die Zeit. Was ist wahr? Was ist bewusste Täuschung? Was machen wir mit all dem Material oder was macht es mit uns?
Informationen, Bilder, Worte, gelegentlich auch Texte kommen uns so vor Augen. Bleibt etwas hängen? Geht etwas auf? Was macht das alles mit mir? Werden wir immer mehr zu Zusehern? Oder sogar zu Verführten? Gerade ist Bewegung in die Gesellschaft gekommen. In gewisser Weise geht es darum, was gesät wird und was davon aufgehen wird.
Damit verbinden sich Sehnsüchte. Dass es weitergeht wie bisher. Oder dass es wieder so wird, wie es einmal war. Dass die einen Einfluss verlieren und dafür andere an Einfluss gewinnen. Wo stehe ich dabei? Was ist meine Sehnsucht? Ich frage das stellvertretend für uns.
Ja, wonach sehne ich mich? Wissen Sie’s, wonach Sie sich sehnen? Ich meine nicht die schlagfertige Antwort, die die Lacher schnell auf ihrer Seite hat. Auch nicht die oberflächliche Betrachtung interessiert mich. Ich meine es tiefer und ernster. Ich will die Sehnsucht suchen. Die, die mich gespannt sein lässt auf morgen! Die, die mich ausrichtet und anleitet, wie der geheime Kompass der Zugvögel. Ich weiß, dass solche Sehnsucht nicht eitel Sonnenschein beschert. Sie birgt Schmerz und Freude in sich. Aber ich suche sie, weil ihr folgend mein Leben seine Richtung erhält, weil sie mich beflügelt, und ihr folgend ich auch Strapazen auf mich nehmen kann…Joseph von Eichendorff: “Und meine Seele spannte / Weit ihre Flügel aus, / Flog durch die stillen Lande, / Als flöge sie nach Haus.” [Mondnacht]
Wie oft bin ich beim Suchen der Versuchung aufgesessen! “Ich muss”, habe ich gesagt, “ich will unbedingt!” und bin vom Weg abgekommen, um auf die Autobahn der Ersatz-befriedigungen abzubiegen. Große Schilder luden mich ein, dies und das zu brauchen, es zu kaufen, es zu verbrauchen, es wegzuwerfen, um etwas anderes zu brauchen, zu kaufen, zu verbrauchen und wegzuwerfen. Aber auch was ich denken soll, wofür ich mich einsetzen soll, wogegen ich sein soll. Meinungen, Lautsprecher, Parolen – alles dreht sich. Wie ein Hamster im Laufrad kann man so seine Jahre zubringen. Aber Kaffeeersatz schmeckt nun mal nicht wie Kaffee! Und Sucht schmeckt nicht wie Sehnsucht!
Meine Sehnsucht hat einen eigenen Geschmack. Ihre, ich vermute das, auch! Meine Sehnsucht gilt dem Leben. “Ja, Du lebst doch! Was willst Du denn noch?” Ich möchte nicht im Kreis laufen, möchte auch nicht im Hin und Her stecken bleiben, auch nicht im Stau, möchte nicht ohne Ahnung bleiben, wozu es so ist, wie es ist. Ich möchte mich verlassen können, mich recken und strecken weit über meine Grenzen hinaus, möchte mich entwerfen auf eine gewisse Zukunft hin. Das kann nicht das Nichts sein und auch nicht das Irgendetwas! Das muss, so glaube und denke ich das, das muss der sein, der uns ins Leben ruft. Er und seine neue Welt. Jesus nennt das Ziel meiner Sehnsucht das
“Reich Gottes”. Für uns mag das bedeuten: Einig werden mit der Quelle des Lebens. „Im Hause des Herrn wohnen immerdar“ [Ps 23].
Vom Reich Gottes spricht Jesus oft in Gleichnissen. Sie haben zu tun mit der Erfahrungswelt seiner Zeitgenossen. Sie haben immer das Vorfindliche und Gegenständliche als Ausgangspunkt. Hier ist es ein Gleichnis, das auf die bäuerliche Lebenswelt Bezug nimmt. Wir lesen es bei Markus im 4. Kapitel:
(26) Und er sprach: Mit dem Reich Gottes ist es so, wie wenn ein Mensch Samen aufs Land wirft (27) und schläft und aufsteht, Nacht und Tag; und der Same geht auf und wächst – er weiß nicht, wie. (28) Denn von selbst bringt die Erde Frucht, zuerst den Halm, danach die Ähre, danach den vollen Weizen in der Ähre. (29) Wenn sie aber die Frucht gebracht hat, so schickt er alsbald die Sichel hin; denn die Ernte ist da.
Hatten Sie eine andere Geschichte erwartet? Eine, die sich damit beschäftigt, wie es zugeht, wenn ein Mensch Samen aufs Land wirft? Und wie geht das zu, wenn in diesem Bild das Reich Gottes gemeint ist? Davon aber ist im Gleichnis keine Rede. Als ob einer nur zu kommen brauchte und sogleich den Samen auswerfen könnte. Heißt das etwa, im Blick auf das Reich Gottes sind alle Voraussetzungen geschaffen? Nicht von uns. Wir wüssten das.
Stattdessen: Kein mühseliges Pflügen und Eggen. „Denn von selbst bringt die Erde Frucht“ [Mk 4,28] Von der Bodenbeschaffenheit, von den Unbilden des Wetters keine Rede. Davon war zuvor die Rede [Mk 4,3ff.], wie wir es auch von Matthäus [Mt 13] und Lukas [Lk 8] kennen. Da rücken die Widrigkeiten in den Blick, die dem Aufwachsen der Saat entgegenstehen können. Das dürfte das uns geläufigere Gleichnis sein. Hier aber spielt all das keine Rolle. Der Mensch, der eben den Samen ausbrachte, mag wachen oder schlafen – „der Same geht auf und wächst“ und der Mensch „weiß nicht, wie“ [Mk 4,27].
Der Same geht auf zwischen unserem Tun und Lassen. Da bleibt ein Geheimnis zwischen Nacht und Tag. Da bleibt etwas unseren Blicken und unserem Verstehen entzogen von dem Werden des Reiches Gottes. Der Mensch, der, der zu sehen gelernt hat, er sieht „der Same geht auf und wächst“ – aber „er weiß nicht, wie.” [4,27]
Nur, dass die Saat für das Reich Gottes aufgehen möge, das ist unsere Sehnsucht und Hoffnung. Alles geht seinen Gang. “Die Erde bringt Frucht, zuerst den Halm, danach die Ähre, danach den vollen Weizen in der Ähre.” [4,28] Das angesichts alles Wollens und Müssens eine geradezu entspannende Vorstellung. Selbst am Ende. Wenn das Korn reif auf den Feldern steht.
Mein Onkel mit seinem Bauernhof hat dann immer intensiv den Wetterbericht verfolgt. Und wenn ein Wetter aufzog, Blitze und Donner, Regengüsse und Wind, saß die Oma mit den anderen in der Küche, las aus der Bibel vor und betete. Und endlich musste das Zeitfenster gefunden und genutzt werden, um die Ernte trocken einzubringen.
Und hier? Nichts dergleichen. Er beantwortet die Frage, wann geerntet wird und die Zeit reif ist für das Reich Gottes in Vollendung. Das beruhigend. Beunruhigend ist das Bildwort, das Markus hier offenbar zitiert: „Wenn sie aber die Frucht gebracht hat, so schickt er alsbald die Sichel hin“ [Mk 4,29] Spielt er etwa auf Gottes Gericht an, wie es bei Joel über die Völker kommt [Joel 4], die sich dem Herrn widersetzen? Viel verrät Jesus nicht, wenn er sagt: “Wenn sie [die Ähre] aber die Frucht gebracht hat, so schickt er alsbald die Sichel hin; denn die Ernte ist da.” [4,29] Die Sichel kommt in Sicht. Einmal ist es so weit. Und die Sichel ist kein harmloser Gegenstand! Ein Symbol der Ernte aber auch des Endes.
Und so ist das ja auch: Die Ernte. Da bleibt nichts, wie es war. Jedes Jahr freue ich mich über das wogende Meer der Ähren auf den Feldern und empfinde Wehmut, wenn alsbald nur noch die goldgelben Stoppeln an sie erinnern.
Wenn die Zeit reif ist, fallen die Würfel. Das kennen wir. Davor flüchten wir auch gerne, um mit der Zeit zu lernen, dass Krisen – und hier am Ende der Entwicklung haben wir es mit einer Krise zu tun! – solche Krisen sich nicht einfach abschütteln lassen. In unserem Leben kehren sie wieder – eine neue Chance für uns! Es sei denn, wir verbannen sie ins Unbewusste, wo sie sich als Gift für die Seele bemerkbar machen.
Und das Evangelium? Die frohe Botschaft? Die ist so einfach wie klar: Gott regiert. Er hat es in der Hand. Weil er es will, wächst es. Wenn er es nicht will, kommt es zur Ernte.
Mit kommt vor, das gilt genauso für unsere Lebensgeschichten. Wenn wir älter werden, bemerken wir es! Die Krise, in die uns die Ernte führt! Das kann sich wie der Tod anfühlen. Das kann auch der Tod sein.
Das halten wir jetzt aus. Wir betäuben es nicht durch allerlei Einrede und Einnahmen! Das ist eine echte Glaubenssache! Glauben heißt dem Höchsten vertrauen. So kann ich mich der Krise stellen, Trennungen zu riskieren und Neuanfänge zu wagen. Das kann sich wie der Tod anfühlen. Das kann auch der Tod sein. Daraus wieder hervorzugehen, bedeutet Freiheit und Glück, bedeutet mehr Lebenskraft und Lebensmut, bedeutet Dankbarkeit und Hoffnung. In all dem aber wächst und vollendet sich das Reich Gottes.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.