13. Sonntag nach Trinitatis
Text: 1. Joh 4,7–12
Thema: Mit der Quelle der Liebe leben
Ev. Emmausgemeinde Eppstein
Pfarrer Moritz Mittag
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.
Vielleicht erinnern Sie die freundlich lächelnde Frau mit der blonden Kurzhaarfriseur. Maria Kolesnikowa. Die Flötistin lebte bis 2020 in Stuttgart und ging angesichts der Ereignisse zurück in ihr Heimatland. Vor drei Jahren haben wir sie zum letzten Mal gesehen. Oft stand sie neben zwei weiteren Frauen, die den Mut hatten, in Belarus für einen Wechsel der Politik einzutreten. Sie brachten im Sommer 2020 immer wieder Hundertausende auf die Straße, die gegen den Machtmissbrauch und Wahlbetrug protestierten. Das Regime des Alexander Lukaschenko ging mit aller Macht und Brutalität gegen die Menschen vor. Es ist darum kein Zufall, dass Maria Kolesnikowa, die bald den Protest anführte und sich nicht einschüchtern ließ, als zusammenfassendes Zeichen ihrer Botschaft mit beiden Händen ein Herz zeigte. Gegen alle Willkür, alle Rechtsbeugung, gegen die Gewalt und die Einschüchterung führte sie das Herz, nein, die Liebe ins Feld. Keine Gewalt, sondern Liebe machte sie zur gefährlichsten Gegnerin der Gewaltherrschaft. Die wollte die Unbeugsame loswerden und in einer Nacht- und Nebelaktion über die Grenze abschieben. Aber Frau Kolesnikova zerriss an der Grenze ihren Pass, wurde verhaftet und wegen „Gefährdung der staatlichen Sicherheit“ angeklagt. Der Prozess fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Am 6. September 2020 wurde Maria Kolesnikova zu elf Jahren Lagerhaft verurteilt. Inzwischen rätseln ihre Familie und ihre Freundin, was aus ihr geworden ist. Wie es ihr geht. Ob sie noch lebt. Jeglicher Kontakt ist unterbunden. Es soll so wirken, als wäre sie nicht da und wäre niemals da gewesen.
Ja, wer für die Liebe eintritt, für Menschenfreundlichkeit und Achtung, lebt gefährlich. Johannes weiß das. Er hat den Weg des Jesus von Nazareth vor Augen. Große Zustimmung begleitet diesen. Am Ende will man ihn mundtot machen, was sage ich, auslöschen will man ihn. Johannes weiß das. In seinem ersten Brief stellt er die Botschaft von der Liebe in den Mittelpunkt seiner Ausführungen. Angesichts des ernsten, ja betrüblichen Hintergrunds muss uns klar sein, dass dieser Liebe das Süßliche, Kitschige und Leichtsinnige abgeht. Sie ist ernst und tief. Sie ist nicht in erster Linie Gefühl, sondern Lebensweise. Sie ist nämlich, das kann ich vorwegnehmen, die Form der Bewährung eines Glaubens, der „Christum treibet“, der Jesus Christus Folge leistet. Im 4. Kapitel schreibt er in den Versen 7-12:
1. Joh 4,7 Ihr Lieben, lasst uns einander lieb haben; denn die Liebe ist von Gott, und wer liebt, der ist aus Gott geboren und kennt Gott. 8 Wer nicht liebt, der kennt Gott nicht; denn Gott ist Liebe. 9 Darin ist erschienen die Liebe Gottes unter uns, dass Gott seinen eingebornen Sohn gesandt hat in die Welt, damit wir durch ihn leben sollen. 10 Darin besteht die Liebe: nicht dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt hat und gesandt seinen Sohn zur Versöhnung für unsre Sünden. 11 Ihr Lieben, hat uns Gott so geliebt, so sollen wir uns auch untereinander lieben. 12 Niemand hat Gott jemals gesehen. Wenn wir uns untereinander lieben, so bleibt Gott in uns, und seine Liebe ist in uns vollkommen.
Wer möchte das nicht? Eine Welt, in der der Umgang liebevoll ist, in der wir einander wertschätzen und achten. Eine Welt, in der Menschen aufeinander Rücksicht nehmen, in der die Liebe konkret wird in der Begegnung mit dem Nächsten. In der aber auch dem Ganzen unsere Liebe gilt: Der Schöpfung in ihrer ganzen Vielfalt. So würden wir den Schöpfer selbst ehren. Wer möchte das?
Die Zahl derer, die bereit sind, dafür auch etwas zu tun, ja, womöglich von sich zu geben, könnte geringer sein. Wir merken rasch, wenn wir einen selbstkritischen Blick riskieren, wie für uns die Grenzen gesteckt sind: Wo der Spaß aufhört und die Liebe schon gleich.
„Ihr Lieben, lasst uns einander liebhaben“ [1. Joh 4,7] Wir könnten der Versuchung erliegen und den Satz und seinen Zusammenhang in die Welt der Poesiealben und Feiertags-weisheiten verbannen. Klingt gut, kostet nichts.
Aber so werden wir Johannes und seiner Absicht nicht gerecht. So werden wir auch dem Jesus nicht gerecht, den wir in der Bergpredigt zu uns sprechen hören und den wir in den Geschichten der Evangelien kennenlernen.
Johannes schreibt: „Darin ist erschienen die Liebe Gottes unter uns, dass Gott seinen eingebornen Sohn gesandt hat in die Welt, damit wir durch ihn leben sollen.“ [1. Joh 4,9]
Es ist wohl eine Frage des Lebens, ja, auch des Überlebens, dass die Liebe, die in Christus Gestalt angenommen hat, gelebt wird. Darum fordert Johannes seine Leute – und mit ihnen auch uns – auf, der Liebe zur Geltung zu verhelfen. Wie gesagt, es ist ihm nicht um eine wohlige Gefühligkeit zu tun. Johannes vertritt ganz offensichtlich die Auffassung, dass der Glaube, also das Vertrauen in Jesus Christus, uns in seine Nachfolge ruft. Und das bedeutet, dass wir den anderen so annehmen, wie Jesus das tat. Dass wir retten und befreien, die der Rettung und der Befreiung bedürfen. Ja, solcher Liebe entspricht die Hingabe an andere.
Der Anspruch ist hoch. Ich weiß nicht, wie es Ihnen damit ergeht. Vorausgesetzt, ich lasse diesen Anspruch nicht einfach an mir abperlen: „funktioniert sowieso nicht!“, bin ich mir doch auch bewusst, dass mir die Mittel und Möglichkeiten zur Umsetzung nicht zur Verfügung stehen. Ich weiß um meine Grenzen und Unzulänglichkeiten. Liegt’s also an mir, ist das Projekt gescheitert, noch bevor es Fahrt aufgenommen hat.
Dann lesen wir: „Darin besteht die Liebe: nicht dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt hat und gesandt seinen Sohn zur Versöhnung für unsre Sünden.“ [1. Joh 4,10]
Das heißt doch wohl, dass die Liebe immer von Gott ausgeht. Halten wir unsere leeren Hände hin, er füllt sie uns. Gott ist gleichsam ein Quell der Liebe. Sie erst bringt uns zurecht, so engherzig, gott-abgewandt und auf uns bedacht wir auch durch’s Leben gelaufen sind.
Bleibt die Frage, was erschließt uns den Zugang zur Quelle? Und wie kommt die Liebe Gottes durch uns in die Welt? Könnten wir uns jetzt darüber austauschen, fiele bestimmt auch die Bemerkung: Die Wirkkraft der Liebe fußt auf dem Vertrauen zu dem, der die Liebe schenkt. Nur wenn ich ihm vertraue, wird die Liebe mich und mein Leben verändern.
Nur wenn ich glaube, dass Gott in diesem Jesus von Nazareth der Welt, Dir und mir, seine Liebe geschenkt hat, wird sie zugänglich und prägend.
Denn jetzt habe ich sie erkannt und empfunden. Jetzt hat sie meine leeren Hände gefüllt. Jetzt hat ER mich erreicht und in meiner Unzulänglichkeit angenommen. Das glaubend, wächst uns eine Stärke zu, die uns dazu bringt, über uns hinauszuwachsen.
„Ihr Lieben, hat uns Gott so geliebt, so sollen wir uns auch untereinander lieben.“ [1. Joh 4,11]
Ich denke an Maria Kolesnikova, die sich für die Macht der Liebe entschieden hat. Ihr stärkstes Argument, eines, das in diesem Land der systematischen Rechtsbeugung, der Gewalt und der Menschenverachtung, die Hoffnung hell aufleuchten lässt. Und auch wenn es jetzt wirklich schlecht für die mutige Frau aussieht, wollen wir hoffen, dass die Quelle der Liebe ihr zugänglich bleibt – trotz allem.
Uns könnte Johannes angeregt haben, uns für sie einzusetzen und etwas für sie zu tun. Wenn wir Gott gebeten haben, dass er uns die Hände fülle und wir seine Liebe spüren, werden wir Ideen haben und Energie spüren, sie umzusetzen. [Kontakt aufnehmen mit ihren Freunden in Deutschland, klären, was wir tun können und das in Angriff nehmen.
Wenn wir uns untereinander lieben, so bleibt Gott in uns, und seine Liebe ist in uns vollkommen. [1. Joh 4,12]
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.