Neujahr
Text: 1. Kor 16,14
Thema: Jahreslosung 2024
Ev. Emmausgemeinde Eppstein
Pfarrer Moritz Mittag
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.
„Mach die Tür leise zu!“ „Ja.“ „Hast du an alles gedacht?“ „Ja.“ „Pass auf dich auf!“ „Ja.“ „Zieh dich warm an, es ist kalt draußen.“ „Hm.“ „Lass von dir hören.“ „Klar.“ Sätze, die wir so oder so schon hunderte Male gehört haben. Sie sitzen im Kopf und klingen nach – noch Jahre später. All diese Sätze haben einen „Sitz im Leben“, wie das der alte Hermann Gunkel (1862-1932), der gelehrte Alttestamentler, genannt hatte. Sie verstehen sich aus einer bestimmten Situation heraus. Hier ist es der Abschied. Die Fürsorglichkeit gibt dem Davongehenden viel guten Rat und Ermahnung mit auf den Weg.
Nun, wir haben sozusagen in der vergangenen Nacht vom alten Jahr Abschied genommen. Mag das für einen persönlich viele glückliche Wendungen bereitgehalten haben, für uns alle, für die ganze Welt hat es uns Anlass zur Sorge gegeben. Und jetzt sind wir über die Schwelle der Nacht in das neue Jahr eingetreten. Alle Tage dieses Jahres – es sind noch 364 Tage, die vor uns liegen, gilt es zurechtzukommen und einen guten Weg zu beschreiten.
Das haben wir alle vor Augen. Der eine oder andere wird gute Vorsätze ausgemacht haben, schon jetzt gespannt, wie lange sie im Kopf bleiben und ihre Anwendung erfahren werden. Als Ermahnungen finden wir solche Gedanken auch in den Briefen des Paulus – meist an deren Ende.
Am Ende des 1. Briefs des Paulus an die Korinther, im 16. Kapitel finden wir den Versauszug, der uns für das Jahr 2024 als Jahreslosung mitgegeben wird: „Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe.“ [1. Kor 16,14]
Ist es Zufall oder unterliegt es einem systematischen Interesse, dass Paulus just in diesem Brief immer wieder auf die Liebe zu sprechen kommt? So häufig und intensiv wie sonst in keinem seiner anderen Briefe. Dabei identifiziert er die Liebe als den Herzschlag eines christlichen Lebens.
Paulus verwendet dabei stets das Wort „Agape, wenn er von der Liebe spricht. Es ist eines von mehreren Worten, die im Griechischen vorkommen und jeweils eine besondere Spielart der Liebe ansprechen. „Agape“ nennt man eine Liebe, die sich schenkt, ohne die Erwartung einer bestimmten Erwiderung. Anders als „Eros“ beispielsweise, eine Liebe, die sich im Begehren äußert. „Agape“ will nichts für sich, aber alles Gute und Liebe für den anderen.
Im berühmten 13. Kapitel des 1. Korintherbriefes beschreibt der Apostel, was es mit dieser „Agape“ auf sich hat. Die Späteren haben dieses Kapitel als das „Hohelied der Liebe“ der Liebe bezeichnet. Daran kann er jetzt am Ende desselben Briefes anknüpfen.
Noch bin ich Ihnen die Antwort auf die Frage, ob es Zufall ist, dass Paulus so ausführlich die Liebe, die Agape ist, reflektiert, schuldig geblieben. Nein, des ist kein Zufall! Auch wir späteren Leser des Schreibens erkennen das. Denn zwischen den Zeilen erfahren wir von handfesten Konflikten in der Gemeinde zu Korinth. Oft stehen sich die Parteien unversöhnlich gegenüber. Man staunt, wie böse und unversöhnlich ihr Umgang miteinander ausfällt. Erst recht, wenn man von der Erwartung herkommt, dass gute und überzeugte Christen sich auf den Spuren ihres Herrn Jesus Christus bewegen.
Der Blick auf die Geschichte der Kirche belehrt einen eines Besseren. Im Namen des Glaubens und sogar im Namen des Herrn können sich Gegnerschaft zur Feindschaft und Nächstenliebe zum Hass wandeln. Die anderen sind dabei zweifelsfrei die Bösen. Sie legen die Axt an die gute Gemeinschaft im Namen des Herrn. Der ärgste Feind ist der Agent des Falschen und Verwerflichen in den eigenen Reihen. Im Namen des rechten Glaubens werden die Feinde schon mal verfolgt, gefangen genommen und auch vernichtet. 1415 verbrennt Jan Hus in Konstanz, der Ketzerei bezichtigt, Girolamo Savonarola stirbt 1498 in Florenz auf dem Scheiterhaufen, von den ungefähr 50.000 Frauen nicht zu reden, die im Zuge der Hexenverfolgungen ihr Leben ließen.
Wir sind gut beraten in den Konflikten unserer Tage, die Vertreterinnen und Vertreter konträrer Ansichten nicht zu verteufeln, sondern als die zu nehmen, die sie sind: Menschen, die anderer Auffassung sind. Meinetwegen Gegner aber keine Feinde. Wenn wir die Welt und unsere Gesellschaft aufteilen in Freunde und Feinde, ist es mit dem Frieden auch bei uns vorbei. Die Art und Weise wie Meinungsverschiedenheit in der Gesellschaft zurzeit ausgetragen werden, geben zur Sorge Anlass. Sie erzeugt in rasender Geschwindigkeit, begünstigt durch die elektronischen Medien, Spaltpilze. Das Interesse an der Verständigung und Würdigung der Positionen der Gegenseite bleiben oft auf der Strecke. Meinungen werden ideologisch aufgeladen. Der eine oder andere wird daran ein Interesse haben, wir nicht. Denn wir folgen Paulus: „Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe.“ [1. Kor 16,14]
Auch die Eppsteiner evangelische Gemeinde hat in ihrer Geschichte mit unversöhnlichem Streit Erfahrungen machen müssen. Die dabei zugezogenen oder anderen beigebrachten Verletzungen wirken lange nach. Weil dem so ist, scheint mir der Vers des Paulus mehr zu sein als ein gefühliges Wort für das Poesiealbum. „Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe.“ [1. Kor 16,14]
Es könnte unser Lackmus-Test sein auf die Art und Weise, wie wir unterwegs sind und miteinander umgehen. Als Mahnung muss ich es mir immer wieder gesagt sein lassen, und vielleicht geht es nicht nur mir so. Wenn perspektivisch nach und nach die Mittel knapper werden und damit die Ausweichräume weniger, sind wir gefordert. Es wird uns so ergehen, wie manchen Leuten, die vor dem Krieg in einer geräumigen Wohnung oder gar einem großen Anwesen zuhause waren, und sich danach auf engem Raum wiederfinden. Alle müssen zusammenrücken. Alle trauern dem nach, was sie mal hatten. Da kommt es zu Reibungen, klar, hoffentlich aber auch zu einem Ab- und Zugeben, in dem die Agape atmet. „Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe.“ [1. Kor 16,14]
Das Verbindende ist die Liebe, die Agape ist. Die Verbindung reicht weiter als es unsere Vernunft ergründen kann, weiter als wir sehen und forschen können. Und in ihr liegt eine Verheißung, die der gern zitierte Vers aus dem 1. Johannesbrief auf den Punkt bringt: „Gott ist die Liebe; wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm.“ [1. Joh 4,16b]
Die Jahreslosung dürfte sich als wichtige Weisung für unseren Weg durch das neue Jahr erweisen. Als Herausforderung, die uns unser Ungenügen vor Augen führt, nicht um uns zu demütigen, sondern damit wir selbst uns in Demut üben, weil wir wissen, wir bedürfen der Liebe Gottes. Die kann uns mit ihm versöhnen und mit unserer eigenen Unzulänglichkeit. Die macht uns Fried-fertig.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.